Girls ‚ Day – Starke Technikerinnen für neue Heldinnen
„Aber Du bist doch ein Mädchen“, kommentierten die Nachbarn. Schon zu Grundschulzeiten begeisterte sich Vanessa Glöckler für Computer- und Videospiele. Heute arbeitet die 26-Jährige als Game Designerin und ist dabei keineswegs allein unter Männern. Die Spielebranche wird zunehmend von Frauen aufgemischt – auf Seiten der Konsumenten ebenso wie in der Produktion.
Und nach dem Schulabschluss? Wie wäre es mit Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik? Klingt wenig verlockend? Weil Du ein Mädchen bist? Unter Umständen eine verpasste Chance. 120.000 MINT-Akademiker werden allein in Deutschland bis 2020 händeringend gesucht. Doch der Frauenanteil steigt selbst in den angesagten IT-Berufen nur zögerlich. „Ein Zustand, der auch mit alten Klischees zusammenhängt“, mutmaßt Vanessa Glöckler, die die Vorurteile kurzerhand vom Tisch fegt: „Ich bin technisch versiert und ich möchte die Dinge auf einem höheren Level steuern.“ Computerspiele haben sie schon in der Grundschule magisch angezogen. Filmregisseurin hat sie werden wollen. Jetzt inszeniert sie als Game-Designerin Geschichten und kann dabei ihr Faible für interaktive Informationstechnologie ausleben: „Auch ein Game-Designer überlegt sich hauptsächlich: Was für eine Erfahrung macht der Betrachter? Nur ist es etwas komplizierter. Wir erzählen nicht nur eine Geschichte, sondern halten viele Geschichten bereit für die möglichen Entscheidungen der Spieler.“
Etwas entwickeln, das alle anspricht
Vanessa Glöckler entwirft Konzepte, Funktionen und Eigenschaften für neue Spiele, die auf dem PC, auf Smartphones und Tablets laufen. Im Matheleistungskurs gehörte sie noch zu den wenigen Mädchen, im Studiengang Game Design war sie die einzige Frau. Aber sie sagt klipp und klar: „Männer haben gegenüber Frauen keinen Vorsprung in technischen Dingen“. Was Vanessa Glöckler beobachtet, ist vielmehr eine unterschiedliche Herangehensweise: „Frauen haben einen anderen Blickwinkel. Im Raum orientieren sich Frauen eher an konkreten, Männer eher an abstrakten Dingen. Und außerdem bin ich ein Fan von Psychographie: Welche Figuren sprechen die Menschen an? Was mögen sie, was mögen sie nicht, wie verhalten sie sich in bestimmten Situationen. Das hat viel mit Psychologie und Einfühlungsvermögen zu tun. Das interessiert mich. Deshalb bin ich immer für ein gemischtes Arbeitsteam aus Männern und Frauen, um etwas zu entwickeln, was alle Leute anspricht.“
Das Ende der „Boys Culture“?
Der Frauenanteil in ihrer Entwicklungsabteilung liegt bei zwanzig Prozent, Tendenz steigend. Das Ende der „Boys Culture“? „Das hat sich in den vergangenen drei Jahren wirklich geändert“, antwortet Vanessa Glöckler lachend. „Dies zeigt allein die Tatsache, dass meine Mutter leidenschaftlich „Big Farm“ spielt.“
Eine Entwicklung die auch der Geschäftsführer des Verbandes der Computer- und Videospielbranche Maximilian Schenk bestätigen kann: „Immer mehr Frauen erobern die digitale Spielewelt: Fast die Hälfte der Spieler, genau 47 Prozent, sind weiblich. Dies verändert auch die Spielebranche. Computer- und Videospiele zu entwickeln, das ist schon lange keine Männerdomäne mehr, die Unternehmen bemühen sich ganz gezielt um weibliche Fachkräfte.“
„Das macht Spaß. Das kann ich.“
Es entwickelt sich allmählich auch die Neugier für die Technik, werden aus Spielerinnen die Entwicklerinnen von morgen, glaubt Susanne Brandhorst, Professorin im Studiengang Game Design der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Der Internetauftritt des Studiengangs zeigt gezielt selbstbewusste junge Frauen am Computer, ihr Anteil im Studiengang an der HTW liegt inzwischen bei 50 Prozent. „Game Design bietet einen faszinierenden Bezug zur Technik, die hier als Werkzeug dient, um die eigenen Ideen schnellstmöglich umzusetzen. Viele Studentinnen wollen anfangs in den gestalterischen Bereich. Wenn sie dann Prototypen am Rechner entwickeln, sagen sie plötzlich: Das macht Spaß, das kann ich.“ Genau dieses Spannungsfeld zwischen Kunst und Programmieren wirkt auf viele anziehend. Auch beim Düsseldorfer Spielehersteller Blue Byte profitiert man mit einem Frauenanteil von 15 Prozent bei den Entwicklern allmählich von diesem Trend. „Die Anzahl weiblicher Fachkräfte steigt bei uns gerade im Bereich Programmierung stetig“, sagt Personalleiter Andrej Maibaum. Dessen Kollegin Corinna Beckmann, 25-jährige Projekt Managerin im Entwicklungsteam von ANNO Online ergänzt: „Ich bin mit Videospielen aufgewachsen, habe ein duales Studium der Wirtschaftsinformatik abgeschlossen und mir war von Anfang klar, dass ich diese solide Ausbildung für einen Start in die Computer- und Videospielbranche nutzen will.“ Ein typischer Werdegang, der exemplarisch auch für andere weibliche Mitarbeiter bei Blue Byte ist. Corinna Beckmann und Ihren Entwickler-Kolleginnen geht es nicht darum, besondere Spiele für Frauen zu machen. „Wir Frauen wollen qualitativ, hochwertige Spiele entwickeln. Das sage ich als Spielerin. Jegliches Klischeedenken ist da fehl am Platz“, ist Corinna Beckmann überzeugt.
Die Spieleindustrie als Zugpferd
„Die Spieleindustrie ist ein gutes Zugpferd, um Mädchen für MINT-Themen zu begeistern“, ist Medienwissenschaftlerin Sabine Hahn überzeugt, die selber zehn Jahre in der Games-Industrie gearbeitet hat.“ „Immer mehr Mädchen können mit Games etwas anfangen. Der Schritt zum Programmieren ist nicht mehr so weit. Die Games-Branche an sich ist reizvoll. Sie ist innovativ, sehr kreativ und hat viel mit Technologie zu tun.“ Sabine Hahn schreibt an ihrer Dissertation zum Thema „Frauen in Games und Games-Industrie“. Gerade ist sie aus San Francisco zurück von der Game Developers Conference, der weltweit größten Entwicklerkonferenz: „Seit ein, zwei Jahren gibt es mehr Frauen in der Spieleindustrie. Der Wandel ist spürbar“, sagt sie. „Zwanzig Prozent der Referenten in San Francisco waren weiblich. Das ist im Vergleich zum Vorjahr eine enorme Steigerung. Die Stimmung war sehr optimistisch.“
Diversität führt zum Erfolg
In den Spielen wächst die Anzahl der weiblichen Heldinnen. Kaisa Leena Huusko, Produktmanagerin beim Spielehersteller Wooga, hat Ende Februar das neue mobile Detektivspiel „Agent Alice“ auf den Markt gebracht. „Wir haben Agent Alice als starken weiblichen Charakter in den wilden Sechzigern angesiedelt, einer Zeit des Umbruchs. Die spannend erzählten Fälle und die Entwicklung der Hauptfigur, solche Story betonten Spiele kommen bei Frauen besonders gut an.“ Kaisa Leena Huusko hat in Finnland studiert. Von ihrem Arbeitgeber in Deutschland ist sie begeistert: „Hier herrscht eine Willkommenskultur, die traditionellen Firmen um Lichtjahre voraus ist. Wir arbeiten hart, aber es fühlt sich nicht wie harte Arbeit an.“ Die 275 Mitarbeiter kommen aus über 40 Nationen, der Frauenanteil in den Games Teams beträgt knapp 25 Prozent. „Unsere Teams profitieren von möglichst großer Vielfalt“, ist Wooga-Geschäftsführer Jens Begemann überzeugt. „Wir als Industrie haben erkannt, dass, wenn wir eine inklusive und vielfältige Grundlage für unseren nachhaltigen Erfolg schaffen wollen, wir uns proaktiv für diese Diversität einsetzen müssen. Konkret? Es gibt eine Kita-Kooperation und einen Babysitter-Notdienst und eine Mitarbeiterin in der Personalabteilung, die sich ausschließlich um solche Services kümmert. Die Firma wurde im vergangenen Jahr zum familienfreundlichsten Unternehmen in Berlin gekürt.