game Themenservice: Spiele machen Kleider

Spiele machen Kleider: 2008 bringt Giles Deacon Pac-Man auf den Laufsteg. Foto | picture alliance © 2014

Weil Mode immer neue Signale senden will, ist sie ständig Durst auf der Suche nach neuen Inspirationsquellen. Die saugt sie aus der aktuellen Kunst und Kultur. So auch zunehmend aus der Welt der Computerspiele, die mit immer weiter entwickelten Bildästhetiken, Phantasien und Techniken ein riesiges kreatives Potenzial bietet. Junge Designer und Wissenschaftler bestätigen den Trend: Computerspiele liefern starke Impulse für die Fashionwelt.

Die erste Generation der Computerspielnutzer ist groß geworden und bringt die Ikonen ihrer Kindheit auf die Bühne. Zu ihnen gehört der britische Fashiondesigner Giles Deacon, ehemals Kreativdirektor bei Gucci und Ungaro. Er ließ bereits „Pac-Man“-Figuren (Bandai Namco) über seine gesamte Kollektion auf der Londoner Fashion Week 2008 geistern. Alle Kleider und Kopfbedeckungen hatte er dem punkte­fressenden kleinen Monster aus dem beliebten Spiel gewidmet. Im vergange­nen Jahr verwendete der schwedische Künstler Per Fhager Motive aus den „Final Fantasy“ (Sqare Enix)- und „Super Mario“-Spielen (Nintendo) für großformatige gestickte Wand­teppiche. „Die starke Visualität der Computerspiele hatte einen starken Ein­fluss auf die Sozialisation der heute Dreißigjährigen. Computerspiele sind als Medium so divergent wie der Film. Seit den 90er Jahren gibt es auch eine künstlerische Auseinandersetzung mit ihnen. Die Ikonographie der Computer­spiele hat ein Eigenleben entwickelt.“, sagt Stephan Schwingeler, der im vergangenen Jahr die Ausstellung „Game Play“ am „Zentrum für Kunst und Medientechnologie“ in Karlsruhe konzipierte. Mit Arbeiten der Videokünstler Bill Viola und Feng Mengbo setzt sie neue Maßstäbe. Sie präsentiert Computer­spiele als Kunst der Gegenwart. Für die Mode ist das eine gute Beute.

 

Kleidung, die den Charakter unterstreicht

Wer die Modelle des bulgarischen Mode-Designer-Duos „Demobaza“ sieht, glaubt in die Zukunft gebeamte Figuren aus der Spielereihe „Assassin´s Creed“ (Ubisoft / Ubisoft Montreal) vor sich zu haben. Die von Demo und Tono in mehrere Tücherlagen gewickelten urbanen Nomaden verkörpern in Haltung und Outfit echten Cyberpunk. „’Demobaza‘ greift weniger ein konkretes Spiel als einen visuellen Kodex auf“, analysiert die Computer­spielekünstlerin Nadia Enis, die an der Berliner „School for Games“ Illustration unterrichtet. Die Wechselwirkung zwischen digitalen Spielen und Mode bringt aus ihrer Sicht eine neue Form der Erzählung und der Rolle von Kleidung hervor: „Wie in den Designs von Spielen unterstützt die Kleidung von Demobaza den Charakter. Für die Fashionindustrie ist das eher ungewöhnlich. Der Mensch, der Charakter tritt hier eher in den Hintergrund. Um Demobazas Modelle aber kann man sich eine Geschichte, eine Handlung vorstellen, man sieht gleich eine Straßenszene oder eine Bar vor sich. So wie ein Gameartist, der sich stärker auf Texturen konzentriert, arbeitet Demobaza nicht mit Stoffmustern, sondern mit Fasern und Haptik.“

Digitale Figuren werden real

Eine breite Brücke zwischen den Spielen und der Mode bilden die vielen jungen „Cosplay“-Anhänger. Die aus Japan kommende, „Costume“ und „Play“ verbindende Bewegung nahm sich zu Beginn Kostüme von Comicfiguren zum Vorbild und schneidert inzwischen zunehmend die Kleider von Charakteren aus Computerspielen nach, um sich damit auf der Bühne zu präsentieren. Auf der Frankfurter Buchmesse finden seit 2007 „Cosplay“-Wettbewerbe statt. Mit großem handwerklichen Einsatz werden die Figuren aus den Spielen in die Realität geholtund teilweise übers Internet vertrieben. Stephan Schwingeler erkennt darin einen Trend: „Diejenigen, die mit Computerspielen sozialisiert wurden und ganz selbstverständlich mit ihnen umgehen, könnten eine neue Generation von Modedesignern stellen.“ Die „Cosplayer“ stellen eine bunte, vielfältige Subkultur, deren Ausdrucksformen sich unter anderem aus der Ästhetik der Computerspiele speist.

Unerschöpfliche Independentszene

Insbesondere die kleinen unabhängigen Spielehersteller bieten derzeit jede Menge Inspiration. „Welches Kreativpotenzial die digitale Spielebranche bietet, zeigen gerade auch Independent-Games wie „The Inner World“ (Publisher: Headup Games)des jungen Entwicklerteams „Studio Fizbin“, ein enorm phantasievolles Werk, das in diesem Jahr den Deutschen Computerspielepreis für das beste deutsche Spiel erhielt“, sagt BIU-Geschäftsführer Maximilian Schenk, für den digitale Spiele längst ein Leitmedium geworden sind, das Innovationsimpulse in die unterschiedlichsten Branchen aussendet. Der Gestaltungswillen von Spieledesignern kennt keine Grenzen: Ob impressionistisch wie in den „Legend of Zelda“-Abenteuern (Nintendo), futuristisch wie in „No Man’s Sky“ (Hello Games), altmodisch-liebevoll wie in „Chaos in Deponia“(Daedalic Entertainment), märchenhaft wie in „Ori and the Blind Forest“ (Microsoft / Moon Studios), düster wie in „Inside“ (Playdead) oder direkt im nostalgischen 8-Bit-Look von „Papers Please“.(3909) Die neuen Stile liegen buchstäblich im Spiel.

 

Das Hemd fühlt mit

Wenn Kleider selbst einmal denken und spielen lernen, könnten sie so aussehen wie die ungewöhnlichen Entwürfe von Katharina Bredies. Die Doktorandin am „Design Research Lab“ der „Universität der Künste“ Berlin nutzt Textilien als Träger für kaum sichtbar eingearbeitete elektronische Sensoren, Metallfasern und Mini-Controller. Das kann ein Hut sein, der einen durch die Stadt leitet. Oder eine Stulpe, die einen Notruf auslöst. „Computerspiele sind ein fester Bestandteil der Popkultur. Auch in meinem Forschungsfeld der Mensch-Maschine-Interaktion ist das Thema digitale Spiele sehr wichtig.“, erläutert Katharina Bredies Noch werden elektronische Textilien hauptsächlich für Sport- und Gesundheitszwecke, zur Optimierung der Fitness oder zur Überwachung der Herzfrequenz, entwickelt. Doch auch für die neue Generation der „Geospiele“, bei denen sich die Spieler im Freien bewegen, eröffnen sich neue Möglichkeiten. „Elektronische Textilien könnten dann statt Joystick und Bildschirm das Ein- und Ausgabemittel sein“, erklärt Katharina Bredies. Das nächste Spielhindernis, die nächste Hürde oder den Gegenspieler würde man dann nicht sehen, sondern fühlen. Der Hemdstoff wird dann warm.