game Themenservice: Vom Spielfilm zum Filmspiel

Beyond Two Souls

Wenn Hollywoodstars mit sich spielen lassen

Bei den Oscars schreiten in diesem Jahr zwei Hollywood-Stars über den roten Teppich, die gerade einen ungewöhnlichen Filmerfolg feierten: Ellen Page und Willem Dafoe standen für „Beyond Two Souls“ vor der Kamera. Für den Soundtrack wurde mit Hans Zimmer einer der einflussreichsten Filmkomponisten Hollywoods gewonnen. Dabei heraus kam zwar kein Kinofilm, aber ganz großes Kino in ungewöhnlicher Regie.

 

Die junge Jodi führt bereits als Kind ein ungewöhnliches Leben. Ihre übersinnlichen Fähigkeiten machen sie zur Außenseiterin. Bald entdeckt auch die CIA ihre Talente. Doch nach dem Verrat durch einen Kollegen muss die inzwischen erwachsen gewordene Spezialagentin fliehen. Ein Wettlauf an der Grenze zwischen Leben und Tod beginnt. Wie er ausgeht, bestimmt der Zuschauer selbst – vorausgesetzt er spielt mit. Denn bei dem spannenden Kinoplot handelt es sich um einen der aktuellen Renner auf der PlayStation 3. Die Grundzutaten: Viel Action, aufwendig inszenierte Bildwelten und zwei Hollywood-Stars von Rang: Ellen Page und Willem Dafoe. Das französische Entwicklerstudio Quantic Dream macht die Illusion vom großen Kino auch bei der deutschen Synchronisation perfekt: Zu hören sind die aus den deutschen Kinofassungen vertrauten Stimmen der beiden Schauspieler.

20 Millionen Euro und ein fulminanter Auftakt

Ganze 20 Millionen Euro hat die Produktion verschlungen, 400 Mitarbeiter waren rund um gesamten Globus beteiligt. Doch dafür dass solch ein Aufwand lohnt, spricht schon der Ansturm auf die Vorpremiere. Anfang Oktober 2013 reihten sich im Scheinwerferlicht des Pariser Grand-Rex-Theaters die Fans zu Hunderten hinter den Absperrkordeln. Ellen Page und Willem Dafoe schritten die Weltpresse ab, gaben Interviews und schrieben Autogramme. Auf einer 250 Quadratmeter großen Leinwand präsentierte Quantic Dream-Chef David Cage dann vor fast 3.000 Zuschauern erste Ausschnitte aus dem neuen Werk. Das kennt man sonst nur von großen Kinopremieren.

Vom Filmspiel zur Spielserie

Was in der einen Richtung funktioniert, geht auch in der anderen Richtung. Denn dass die Verfilmung erfolgreicher Spiele die Kinokassen klingeln lassen, ist spätestens seit „Tomb Raider“ kein Geheimnis mehr. Im August 2015 soll nun die Filmfassung von „Assassin’s Creed“ in die Kinos kommen. Doch unlängst kündigte Xbox One-Hersteller Microsoft an, zukünftig sogar selbst auf eigenproduzierte Bewegtbildformate setzen zu wollen. Neue Spiele wie „Quantum Break“ oder der nächste „Halo“-Titel sollen so gleichsam als heimisches Fernsehvergnügen „verlängert“ werden. Was genau den Spieler erwartet, verrät der Publisher noch nicht. Nur so viel ist zu den Plänen des Microsoft Studios in Los Angeles durchgesickert: Wenn Ende 2014 „Quantum Break“ auf den Markt kommt, befinden sich auf dem Datenträger zusätzliche Filmepisoden, die einer professionell produzierten TV-Serie in Qualität und Länge in nichts nachstehen. Die einzelnen Episoden werden dabei durch Fortschritte im Spiel freigeschaltet, wobei die Spielcharaktere mit den Hauptrollen der Serie nichts zu tun haben. Aber der Spieler bestimmt selbst, welchen Verlauf die Serie nimmt. Er wird mit den Konsequenzen seiner Spielentscheidungen in den begleitenden Filmepisoden immer wieder konfrontiert.

Das interaktive Erzählen gewinnt an Bedeutung

Kapert die digitale Spielebranche das Filmgeschäft? So weit würde Dr. Maximilian Schenk nicht gehen. Der Geschäftsführer des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware erkennt jedoch einen klaren Trend: „Die Narration digitaler Spiele gewinnt immer weiter an Tiefe, packende  Geschichten erzählen wir heute in ganz neuer Form. Dabei wird die genre- und  plattformübergreifende Verbindung von Film, Fernsehen und digitalem Spiel die Zukunft der Unterhaltungskultur zunehmend bestimmen “, sagt er. „Das hat vor Jahren schon Hollywood-Visionär und Erfolgsregisseur Guillermo del Toro vorhergesagt.“ Inzwischen ist auch die Technik so weit, dass man als Spieler fast vergessen könnte, eine virtuelle Spielfigur vor sich zu haben. Dahinter steckt das so genannte „Motion Capturing“, eine der aktuell einflussreichsten Entwicklung in der digitalen Spielebranche. Vorreiter Sony nimmt komplette Szenen auf 360-Grad-Bühnen auf und verwandelt sie mittels 3-D-Animation in fotorealistische Eindrücke. Dutzende Kameras filmen die Darsteller aus allen denkbaren Winkeln, jede Bewegung wird erfasst. Am Ende bilden Grafiker die Gesichter der Schauspieler wirklichkeitsgetreu nach.

Neues Betätigungsfeld für Schauspieler

Das „Motion Capturing“ eröffnet Schauspielern neue Betätigungsfelder. „Noch bewegen wir uns am Anfang dieser Entwicklung, aber sie nimmt längst Fahrt auf“, meint Thomas Bremer, Professor für Game Design und Leiter des Motion Capture Studios der GAME CHANGER an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Dass bei der Produktion von Computer- und Videospielen immer mehr professionelle Darsteller gefragt sind, habe neben dem Aspekt der Vermarktung durch populäre Gesichter vor allem mit ihrer beruflichen Fähigkeit zu tun, sich durch Bewegungen künstlerisch auszudrücken. „Das kann nicht jeder und das wissen die Spieleproduzenten.“ Seit 2009 leitet Bremer in Berlin den ersten staatlichen Bachelor-Studiengang für Game Design und das Forschungscluster GAME CHANGER. Viele der angehenden Spieleentwickler sind in die Forschungsprojekte einbezogen und beschäftigen sich unter anderem mit der Glaubwürdigkeit von Spielfiguren: „Uns interessiert dabei die digitale Berechnung von Mimik und Gestik. Noch verwenden die meisten Spiele vorab erstellte Animationssequenzen. Künftig werden virtuelle Charaktere mittelst physikalischer Animationsmodelle und künstlicher Intelligenz viel komplexer und scheinbar emotional auf den Spieler reagieren. Das macht digitale Spielfiguren im Verhalten glaubwürdiger und erhöht die Identifikation des Spielers mit der virtuellen Umgebung.“

2.000 Seiten Drehbuch

Noch ist das Zukunftsmusik. Dass wir dagegen schon in wenigen Jahren Bilder erzeugen können, die den gleichen Umfang an Komplexität haben wie Filmbilder, da ist sich Bremer sicher. Stoffe und Figuren werden sich zunehmend transmedial verbreiten. Dabei werden sich auch die kulturellen Gewichte weiter verschieben: Das digitale Spiel sei das primäre Unterhaltungsmedium vor allem für die junge Generation. Gänzlich in Computer- und Videospielen aufgehen würden Filme aber nicht: „Jedes Medium hat seine Besonderheiten. Und die wird es weiter geben. Für Spiele eignen sich nur Stoffe mit großem Handlungspotenzial.“ Die einzelnen Szenen müssen dafür immer in mehreren Versionen gedreht werden. Und genau hier liegt auch eine Herausforderung für die Schauspieler. Viel Stoff! Da wundert es kaum, dass Ellen Page das Dreh-Set für „Beyond Two Souls“ ein „Schauspiel-Bootcamp“ nannte: Ganze 2.000 Seiten war das Drehbuch stark. Ein zweistündiger Kinofilm kommt gerade mal auf 120 Seiten.