Stellungnahme zum Fragebogen des Bundesministeriums der Justiz zum gesetzgeberischen Regelungsbedarf im Urheberrecht für den Verleih von E-Books durch öffentliche Bibliotheken (sog. „E-Lending“)

Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat am 26. April 2023 einen Fragebogen zum gesetzgeberischen Regelungsbedarf im Urheberrecht für den Verleih von E-Books durch öffentliche Bibliotheken (sog. „E-Lending“) veröffentlicht und bis zum 23. Juni 2023 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der game – Verband der deutschen Games-Branche hält einen deutschen Sonderweg für verfehlt und befürwortet eine Regelung – sofern eine solche überhaupt erforderlich sein sollte – einheitlich auf der Ebene der Europäischen Union (EU).

Wir sind der Verband der deutschen Games-Branche. Unsere Mitglieder bilden das gesamte Games-Ökosystem ab, von Entwicklungs-Studios und Publishern bis hin zu Esport-Veranstaltern, Bildungseinrichtungen oder Institutionen. Als Mitveranstalter der gamescom verantworten wir das weltgrößte Event für Computer- und Videospiele. Wir sind Gesellschafter der USK, der Stiftung Digitale Spielekultur, der esports player foundation, der devcom und der VHG sowie Träger des Deutschen Computerspielpreises. Als zentraler Ansprechpartner für Medien, Politik und Gesellschaft beantworten wir alle Fragen etwa zur Marktentwicklung, Spielekultur und Medienkompetenz. Gemeinsam machen wir Deutschland zum Herzen der Games-Welt. Wir bereichern mit Games das Leben aller Menschen. Das Urheberrecht als Investitionsschutz für die Entwicklung von Computerspielen ist dabei einer der wichtigsten Standortfaktoren und hat unmittelbare Auswirkungen auf Investitionsentscheidungen für den Games-Standort Deutschland.

1. Keine Erforderlichkeit einer gesetzlichen Normierung erkennbar

Eine gesetzliche Normierung des E-Lending ist aus Sicht der Games Branche nicht erforderlich: Bereits der vom Bundesrat seinerzeit vorgelegte Entwurf eines neuen „§ 42b UrhG – Digitale Leihe“ im Rahmen seiner Stellungnahme vom 26. März 2023 (BRat-Drs. 142/21 v. 26.3.21, S. 7 f.) zog starke und berechtigte Kritik der Interessenvertretungen der Urheberinnen und Urheber (so etwa die gemeinsame Stellungnahme des Netzwerkes Autorenrecht vom 8. April 2021 „Schriftsteller:innen und Übersetzer:innen appellieren: Bitte schützen Sie uns, anstatt uns zu schädigen“) sowie der Verlage (so etwa die „Gemeinsame Stellungnahme zum Vorschlag des Deutschen Bundesrates zur gesetzlichen Regelung der digitalen Leihe von E-Books“ vom 7. April 2021 von u.a. dem Börsenverein des deutschen Buchhandels und sechs weiteren Verbänden) nach sich.

Seinerzeit wurde – zu Recht – nicht nur das überhastete Vorgehen gerügt, sondern auch festgestellt, dass die damals (und so auch heute noch) geltenden vorherrschenden Rahmenbedingungen des E-Lending eine erfolgreiche gelebte Praxis darstellen und überdies auch fair für alle Beteiligten sind: Das „Leihsystem“ von E-Books, das im Wesentlichen durch die „Onleihe“ des marktführenden Aggregators „DiViBib“ bestimmt wird, ist etabliert und ermöglicht den Nutzerinnen und Nutzern der teilnehmenden öffentlichen Bibliotheken, aus einem umfangreichen Angebot an lizenzierten E-Books auswählen zu können. Für die Verlage besteht die Möglichkeit, faire, marktübliche und angemessene Lizenzen zu vereinbaren, die auch eine angemessene Beteiligung der Autorinnen und Autoren sowie Übersetzerinnen und Übersetzer gewährleisten. Auch sind die teilnehmenden Bibliotheken in Verhandlungen keineswegs „strukturell unterlegen und von der Preispolitik der Verleger abhängig“, wie es der Bundesrat im Rahmen der vorgenannten Stellungnahme damals – und soweit ersichtlich ohne empirische Prüfung – unterstellte.

Hieraus ergibt sich, dass eine Regelung des E-Lending derzeit gar nicht erforderlich ist.

Die Erforderlichkeit fehlt zum jetzigen Zeitpunkt erst recht, weil die Bundesregierung selbst derzeit offenkundig erst dabei ist, die empirischen Voraussetzungen eines etwaigen Regelungsbedarfs zu ermitteln: Insoweit begrüßt die Games Branche, dass die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Oktober 2022 erstmals einen Runden Tisch zum E-Lending initiiert hat, um sich auf diese Weise mit Akteuren zu kulturpolitischen Aspekten des E-Lending auszutauschen. Wir halten es auch für sinnvoll, dass in diesem Zusammenhang eine Studie ausgeschrieben worden ist, die sich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen des E-Lending sowohl auf den Publikumsmarkt als auch im Vergleich zu Print-Büchern befassen soll und so eine – hoffentlich – belastbare empirische Diskussionsgrundlage für alle Beteiligten schaffen wird. Wir halten es aber regulatorisch für verfehlt, gesetzgeberische Tätigkeiten überhaupt ins Auge zu fassen, bevor die Marktauswirkungen des E-Lending – soweit ersichtlich erstmals – empirisch ermittelt worden sind und sich aus derart gesicherten Erkenntnissen überhaupt ein Regulierungsbedarf erkennen lässt.

2. Kein deutscher Alleingang

Sofern doch ein Handlungsbedarf festgestellt werden sollte, kommt es aus Sicht der Games-Branche bei dem überaus komplexen Thema des sogenannten E-Lending entscheidend darauf an, eine gesetzliche Regelung dem europäischen Gesetzgeber zu überlassen. Einen nationalen Alleingang halten wir für verfehlt, weil er dem komplexen Zusammenspiel aus den maßgeblichen Rechtsakten des EU-Gesetzgebers einerseits und den mitgliedstaatlich geprägten Regelungen andererseits sowie damit zusammenhängender Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) nicht gerecht wird.

Der deutsche Gesetzgeber müsste für eine E-Lending-Regelung die Vorgaben von Art. 4 InfoSoc-Richtlinie (2001/29/EG) und Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 lit. b, 6 Abs. 1 Vermiet- und Verleihrechtsrichtlinie (2006/115/EG) unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere in den Entscheidungen „VOB/Stichting Leenrecht“ (EuGH (Dritte Kammer), Urt. v. 10.11.2016 – C-174/15 – Vereniging Openbare Bibliotheken/Stichting Leenrecht) und „Tom Kabinet“ (EuGH (Große Kammer), Urt. v. 19.12.2019 – C-263/18 – Nederlands Uitgeversverbond u.a./Tom Kabinet Internet BV u.a.) einhalten bzw. umsetzen. Ein nationaler Vorstoß birgt aus Sicht der Games Branche das signifikante Risiko, dass Regelungen geschaffen werden, die dem entweder nicht vollumfänglich gerecht werden (können) oder von zukünftigen Gesetzgebungsinitiativen auf EU-Ebene überholt werden. Auch bestünde rechtspolitisch und wirtschaftlich die Gefahr einer deutschen Insellösung, mit der deutsche Verleger und Publisher auch im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern besonders beschwert und diskriminiert würden.

Im Hinblick darauf, dass – soweit überhaupt erforderlich – eine Regelung auf europäischer Ebene vorzugswürdig wäre, mögen etwaige Erkenntnisse aus der genannten Studie dann in die Regulierungsaktivitäten auf EU-Ebene einfließen. Bestrebungen für eine unabgestimmte deutsche gesetzliche Regelung halten wir nach alledem und vor allem zum jetzigen Zeitpunkt für verfehlt.



Dr. Christian-Henner Hentsch
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