Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Digitale-Dienste-Gesetzes

Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG sowie zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten und zur Änderung weiterer Gesetze (Digitale-Dienste-Gesetz, oder DDG)

Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat am 4. August 2023 Referentenentwurf für ein Digitale-Dienste-Gesetz zur Durchführung des Digitale Services Act (DSA) veröffentlicht und bis zum 25. August 2023 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der game – Verband der deutschen Games-Branche begrüßt die grundsätzlich gelungene Umsetzung der Durchführung und hat vor allem zu den gesetzlichen Vorgaben für Seitensperren und zur Durchführung der Vorgaben im DSA zum Jugendschutz konstruktive Anmerkungen und konkrete Vorschläge.

Wir sind der Verband der deutschen Games-Branche. Unsere Mitglieder bilden das gesamte Games-Ökosystem ab, von Entwicklungs-Studios und Publishern bis hin zu Esport Veranstaltern, Bildungseinrichtungen oder Institutionen. Als Mitveranstalter der gamescom verantworten wir das weltgrößte Event für Computer- und Videospiele. Wir sind Gesellschafter der USK, der Stiftung Digitale Spielekultur, der esports player foundation, der devcom und der VHG sowie Träger des Deutschen Computerspielpreises. Als zentraler Ansprechpartner für Medien, Politik und Gesellschaft beantworten wir alle Fragen etwa zur Marktentwicklung, Spielekultur und Medienkompetenz. Gemeinsam machen wir Deutschland zum Herzen der Games-Welt. Wir bereichern mit Games das Leben aller Menschen.

Leider fällt die Verbändebeteiligung, wie leider schon andere für die Games-Branche relevante Gesetzgebungsvorhaben in den Jahren zuvor, wieder in die parlamentarische Sommerpause und ist mit drei Wochen noch dazu überaus kurz angesetzt. So entsteht der Eindruck, dass das Ministerium gar kein Interesse an einer Beteiligung der in den Branchenverbänden organisierten Unternehmen hat. Die Verbändeanhörung scheint als Formalie und dies mindert Seite 3/7 die Akzeptanz für das Gesetzgebungsverfahren und verstärkt die Politikverdrossenheit bei den Unternehmen und den dort tätigen Mitarbeitenden. Zudem ist eine umfassende und gründliche inhaltliche Befassung doch auch im Sinne einer qualitativ hochwertigen Gesetzgebung.

1. Europäisches Sitzland und Herkunftslandprinzip sowie Zulassungsfreiheit, §§ 2-4 DDG-E

Es wird begrüßt, dass im DDG-E die Bestimmungen des Telemediengesetzes (TMG) zum
europäischen Sitzland und zum Herkunftslandprinzip sowie zur Zulassungsfreiheit ganz
weitgehend unverändert übernommen werden sollen. Die Regelungen haben sich im
Grundsatz bewährt und eine nahtlose Fortführung dieser Vorschriften sorgt für die erforderliche Rechtssicherheit.

Wir rechnen damit, dass eine Vielzahl internationaler Unternehmen, die Dienste in der EU anbieten, ohne zugleich eine lokale Niederlassung zu unterhalten, lokale Vertreter nach Art. 13 DSA benennen werden (Zustellungsbevollmächtigte). Art. 13 Abs. 3 sieht dabei eine Haftung des Vertreters vor, ohne dass deren Voraussetzungen und Bemessung geregelt werden. Gerade vor dem Hintergrund, dass die Verfolgungskompetenz am Sitz des Vertreters gebündelt ist, bedarf es klarer nationaler Regelungen, welche Sorgfaltspflichten den Vertreter treffen und welchen Sanktionen er bei deren Verletzung ausgesetzt ist (persönliche Haftung). Der jetzigen Fassung des DDG-E fehlen derartige Regelungen noch vollständig.

2.  Allgemeine Informationspflichten und spezielle Pflichten bei kommerzieller Kommunikation,
§§ 5, 6 DDG-E

Auch die Beibehaltung der allgemeinen Informationspflichten und speziellen Pflichten bei
kommerzieller Kommunikation aus dem TMG wird grundsätzlich begrüßt. Auch diese Regelungen haben sich prinzipiell bewährt.

Mit Blick auf die Regelungen zur kommerziellen Kommunikation im Medienstaatsvertrag (MStV) wäre es wünschenswert, für alle Werbetreibenden und insbesondere auch für Influencer eine konsistente und damit auch Übertragungsweg-neutrale und somit faire Regulierung zu schaffen. Durch die Ausweitung des Rundfunkbegriffs durch die Überarbeitung der Rundfunkdefinition im MStV gibt es gerade im Micro-Influencer-Bereich Unsicherheiten. Deswegen sollte hier zwischen Bund und Ländern ein konstruktiver Dialog mit dem Ziel einer einheitlichen Lösung geführt werden.

3. Seitensperren, § 7 DDG-E

Der game ist Teil der Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII), die als Selbstregulierung unter Aufsicht der Bundesnetzagentur in Abstimmung mit den größten deutschen Telekommunikationsunternehmen nach einer umfangreichen Subsidiaritätsprüfung Empfehlungen zur freiwilligen Sperre von strukturell rechtswidrigen Websites ausspricht. Dieses Verfahren hat sich bewährt und in den letzten zwei Jahren wurden elf eindeutig strukturell urheberrechtsverletzende Seiten gesperrt. Darunter befand sich auch eine Seite (nsw2u.com), die zahlreiche Konsolentitel illegal zum Abruf unter anderem in Deutschland angeboten hat. Auch auf den anderen Websites waren häufig unter anderem Computerspiele illegal abrufbar. Dieses Verfahren hat sich bewährt, die Rechte der Games-Anbieter wurden effektiv geschützt und gleichzeitig wurden die Verbraucherrechte gewahrt und die Netzneutralität gewährleistet. Deswegen setzt sich der game dafür ein, dass die CUII auch mit den neuen Regelungen des DDG-E so weiterarbeiten kann.

Weil Computerspiele ein internationales Medium sind, das immer grenzüberschreitend genutzt und distribuiert wird, sind aus Sicht der Games-Branche einheitliche Reglungen und eine Harmonisierung der Regulierung – zumindest im EU-Binnenmarkt – wünschens- und erstrebenswert. Die ausführliche – teilweise fast unmögliche – Subsidiaritätsprüfung ist in Deutschland besonders ausgeprägt und findet sich so in keinem anderen EU-Mitgliedstaat. In den meisten Mitgliedstaaten wurden behördlichen Anordnungen zur Seitensperre bei Urheberrechtsverletzungen auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 3 der EU-Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (InfoSoc-RL) eingeführt. Auch die einschlägige Rechtsprechung des EuGH (EuGH, GRUR 2014, 468 – UPC Telekabel) ist weniger detailliert als die Vorgaben des BGH zu Seitensperren (BGH, GRUR 2016, 268 – Goldesel; BGH, GRUR 2018, 1044 – Dead Island; BGH, GRUR 2022, 1812 – DNS-Sperre). In seinen „Google-Urteilen“ vom 08.12.2022 (C 460/20) sowie vom 13.05.2014 (Az. C 131/12) hat der EuGH im Datenschutzrecht (Persönlichkeitsrecht) zuletzt eine Subsidiaritätsprüfung sogar ausgeschlossen. Im Unionsrecht gilt ein ähnlicher Grundsatz auch für die Durchsetzung von Urheberrechten. (EuGH vom 22.6.2021 – C-682/18, C-683/18 Rn. 141 – YouTube und Cyando). In Deutschland ist eine Verfassungsbeschwerde gegen die extensive Auslegung von Subsidiaritätserfordernissen durch den BGH in „DNS-Sperre“ anhängig (1 BvR 762/23). Insoweit wäre also zumindest eine gesetzgeberische Offenheit für die Fortentwicklung der EuGH-Rechtsprechung zur Subsidiarität sinnvoll und vorausschauend.

Die Content-Verbände haben schon frühzeitig gegenüber dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr den gemeinsamen Wunsch nach einer Streichung der Regelungen in § 7 Abs. 4 TMG deutlich artikuliert. Damit wäre eine Offenheit für die EuGH-Rechtsprechung gewährleistet und die Arbeit der CUII würde sich dann auf die richterlichen Grundsätze der Störerhaftung stützen. Trotz dieses großen Konsenses wurde nun im DDG-E die bestehende Regelung in § 7 Abs. 4 TMG weitgehend unverändert übernommen. Damit kann die CUII zwar weiterarbeiten, es wurde aber eine Chance für eine weitere Harmonisierung der Seitensperren und eine Flexibilisierung für die kommende EuGH-Rechtsprechung verpasst. Der game spricht sich weiterhin für eine ersatzlose Streichung des § 7 DDG-E aus.

Bei dem neuen § 7 Abs. 3 DDG-E handelt es sich sogar um eine Verschlechterung zur aktuellen Rechtsprechung. Das gilt jedenfalls für Sperransprüche gegen kabelgebundene und mobile Zugangsprovider, die nicht WLAN-Provider sind. Bislang hat die Rechtsprechung die Kostenregelung in § 7 Abs. 4 S. 3 TMG nicht analog auf kabelgebundene und mobile Zugangsprovider angewendet (sondern nur direkt auf WLAN-Provider). Letztes Beispiel ist das Versäumnisurteil des Landgerichts Köln, das Ende Juni in unserem CUII-Musterfall zur Sperrung der Seite JOKERLIVESTREAMS ergangen ist. Dort wurden alle Kosten des Verfahrens der Beklagten auferlegt (LG Köln, Versäumnisurteil vom 28.06.2023, 14 O 130/23). Also wurden auch die außergerichtlichen Kosten (= anwaltliche Prozesskosten) dem verklagten Telekommunikationsunternehmen auferlegt. Ein anderes Beispiel ist das Urteil des Landgerichts München I vom 25.10.2019 (GRUR-RS 2019, 55749 – LibGen und SciHub), wonach auch dort unter Ziffer II. ausgeurteilt wurde, dass der beklagte Zugangsprovider „die Kosten des Rechtsstreits zu tragen“ hat (ohne Ausnahme im Hinblick auf außergerichtliche Kosten) (GRUR-RS GRUR-RS 2019, 55749 Rn. 82). Diese Rechtsprechung ist auch zutreffend. Die analoge Anwendung von § 7 Abs. 4 S. 1 wurde vom BGH damit begründet, dass ansonsten die Umsetzungspflicht des deutschen Gesetzgebers im Hinblick auf Artikel 8 Abs. 3 InfoSoc-RL und Artikel 11 S. 3 Durchsetzungs-RL verletzt wäre (BGH GRUR 2016, 1812 Rn. 21 – DNS Sperre). Um diese Richtlinienkonformität herzustellen, braucht es aber keine analoge Anwendung der Kostenregelung in § 7 Abs. 4 S. 3 TMG. Das würde sich nach § 7 Abs. 3 DDG Entwurf ändern, und ein kabelgebundener Zugangsprovider müsste nur noch die Gerichtskosten tragen. Wenn der politische Wille die inhaltsgleiche Übernahme der bestehenden Regelungen des TMG in das DGG sein sollte, dann sollten auch hier konsequent die bestehenden Regelungen zur Kostentragung ganz ohne Änderungen übernommen werden.

4. Aufsicht, § 12 DDG-E

Für die Durchführung des DSA wird in § 12 Abs. 2 S. 1 die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) als zuständige Behörde für die Durchsetzung der Art. 14 Abs. 3 und 28 Abs. 1 DSA benannt. Dies ist mit Blick auf die mit der letzten Novelle des JuSchG eingeführte Plattformregulierung konsequent und grundsätzlich zu begrüßen.

Es wäre jedoch wünschenswert, wenn die Landesmedienanstalten und die Bundesländer in das Gesetzgebungsverfahren noch mehr einbezogen worden wären, um eine konsistente Durchführung des DSA in Deutschland zu gewährleisten. Mit der Abschaffung des TMG durch den Bund fehlt die zugrundeliegende Definition für den Telemedienbegriff im Medienstaatsvertrag (MStV) und im Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV). Nachdem die Länder die erforderlichen Anpassungen in den beiden Staatsverträgen bis heute noch nicht einmal öffentlich diskutiert haben, droht ab Außerkrafttreten des TMG der Wegfall der Ermächtigungsgrundlage für jegliche Aufsichtsmaßnahmen der Landesmedienanstalten für Computerspiele, die eben nicht in den Anwendungsbereich der Audiovisuellen Mediendienste Richtlinie (AVMD) fallen. Die meisten Games-Unternehmen werden sicherlich weiterhin die bewährten Jugendschutzstandards einhalten, allerdings kann diese Lücke in der Medienaufsicht von unlauteren Wettbewerbern genutzt werden und zu erheblichem Vertrauensverlust in die Medienaufsicht führen. Auch die laufenden Gerichtsverfahren zu Aufsichtsmaßnahmen nach § 6 JMStV könnten wegen der vollharmonisierenden Vorschriften des Art. 28 DSA mit dessen Anwendbarkeit im Februar 2024 hinfällig werden. Dies wäre kein gutes Signal für die Medienaufsicht in Deutschland.

5. Jugendschutz, Art. 12 DDG-E

Die Beibehaltung der Regelungen des bisherigen § 24a JuSchG ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Beteiligung der Selbstkontrolleinrichtungen im Verfahren nach §§ 24b, 24c JuSchG sollte jedoch ebenso wie die anderen Regelungen beibehalten werden. Im Referentenentwurf wird die Streichung damit begründet, dass die Beteiligung bisher in der Praxis nicht relevant war und es wird auch auf den Vollharmonisierungsanspruch des DSA verwiesen. Eine Ausgestaltung „lediglich“ in Form einer Anhörung und Einbeziehung der Selbstkontrolleinrichtungen stellt nur eine nationale Verfahrensausgestaltung im Sinne des Art. 51 Abs. 6 DSA dar und sollte problemlos eingefügt werden können. Mit der faktischen Beibehaltung der bisherigen Kompetenzen der BzKJ bei den Vorsorgemaßnahmen bei Plattformen sollte auch die bewährte Beteiligung der Selbstkontrolle beibehalten werden.

Abschließend bittet der game noch einmal ausdrücklich darum, künftig die
Verbändeanhörung nicht so kurz und auch nicht während der parlamentarischen
Sommerpause durchzuführen und mit Blick auf das weitere Verfahren wird um eine schnelle
Auswertung der Stellungnahmen gebeten, damit im parlamentarischen Verfahren
ausreichend Zeit für eine umfassende Beratung bleibt, bevor der Gesetzentwurf wegen der
bekannten Frist für die Anwendung des DSA von Bundestag und – hoffentlich – auch vom
Bundesrat beschlossen wird.



Dr. Christian-Henner Hentsch
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Maren Raabe
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