Computerspiele im Unterricht: Warum Games in die Schule gehören

Computerspiele im Unterricht: Warum Games in die Schule gehören
Happy students in classroom using a digital tablet, they are all wearing uniforms.

Foto: Getty Images
 
Für Kinder und Jugendliche sind Computer- und Videospiele fester Bestandteil ihres Alltags. Trotzdem sind sie in deutschen Klassenzimmern nur selten ein Thema. Dabei würde sich eine Auseinandersetzung mit dem digitalen Kulturgut durchaus lohnen.
 
Videospiele sind längst zu einem Kulturgut wie Musik, Literatur oder Filme geworden. Immerhin 34 Millionen Deutsche spielen digitale Spiele, darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Wie sehr Games inzwischen gesellschaftlich verankert sind, zeigt auch der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der letztjährigen gamescom. Kenntnisreich plauderte sie auf dem weltweit größten Event für Computer- und Videospiele über Programmiersprachen, testete Virtual-Reality-Brillen und ließ sich von einem Lehrer erklären, wie er das Konstruktions-Spiel „Minecraft“ im Chemie-Unterricht einsetzt. Sichtlich angetan sprach die Kanzlerin danach von dem großen Bildungspotential der Videospiele. Spielbasiertes Lernen kann aus ihrer Sicht ein wichtiges Element sein, um den Weg in eine mehr und mehr digitalisierte Welt zu erleichtern und die Begeisterung für Wissenschaft und Technik zu entfachen. Doch sowohl die spielerische Förderung von digitalen Kompetenzen als auch eine kritische Begleitung der Gamer setzt eine intensive, medienpädagogische Auseinandersetzung mit Computerspielen voraus. Eine solche findet allerdings in deutschen Schulen viel zu selten statt, bedauert Felix Falk, Geschäftsführer des game – Verband der deutschen Games-Branche. „Videospiele sind längst ein ebenso wichtiges Kulturgut wie Filme oder Bücher, trotzdem werden sie als Medium noch viel zu selten im Schulunterricht eingesetzt oder auch nur thematisiert“, sagt er.

Minecraft ist ein pädagogischer Vorreiter

Natürlich gibt es auch Ausnahmen, eine davon ist Tobias Hübner, 38 Jahre, Lehrer für Deutsch und Religion an einem Düsseldorfer Gymnasium. Er setzt regelmäßig Spiele im Unterricht ein und stellt auf seinem Blog „medienistik.de“ kostenlose Arbeitsmaterialien und Werkzeuge für die Unterrichtsgestaltung mit Videospielen zur Verfügung. Im Moment arbeitet er mit seiner Computer-AG an der Verknüpfung von realen und virtuellen Welten. Die Aufgabe: Mithilfe des Mini-Computers Raspberry Pi programmieren die Schüler eine Taste, mit der sich Steine im Videospiel „Minecraft“ bewegen lassen. Als Programmiersprache nutzen sie dabei Scratch. Diese wurde am Massachusetts Institute of Technology extra für Kinder entwickelt. „Der spielerische Ansatz hilft mir dabei, den Kindern die Logik des Programmierens näher zu bringen. Sie erfahren sehr anschaulich, wie Algorithmen oder Variablen funktionieren“, erklärt Hübner. Für die Vermittlung von Programmierkenntnissen, chemischen Formeln oder den Strukturen des Sonnensystems ist „Minecraft“ inzwischen eine beliebte Wahl bei Pädagogen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der digitale Baukasten lässt den Spielern viel Gestaltungsfreiräume und spricht die Kreativität an. Außerdem gibt es inzwischen eine extra entwickelte Education Edition samt reger Community, die sich über neue Unterrichtsansätze austauscht. So wundert es kaum, dass die Lernversion seit der Veröffentlichung vor einem Jahr von mehr als zwei Millionen Schülern und Lehrkräften aus aller Welt ausprobiert wurde. Ihnen stehen dutzende Kapitel zur Verfügung – ob aus der Mathematik, Informatik oder der Kunst. Auch andere Branchen-Größen sehen die Möglichkeiten, ihre erschaffenen Werke für pädagogische Zwecke zur Verfügung zu stellen: So bietet der Titel „Assassin’s Creed: Origins“ ab dem 20. Februar erstmalig den Spielmodus „Die Entdeckungstour: Das alte Ägypten“ in seiner Spielwelt an, ein virtuelles, interaktives Museum erschaffen von Spieleentwicklern, Historikern und Ägyptologen. Die Idee: Der Spieler kann die Spielwelt aus Pyramiden, Pharaonen und Hieroglyphen in 75 themengezogenen Touren entdecken – ganz ohne Kämpfe oder Zeitdruck. Auf dem Programm stehen unter anderem Alexandria, Memphis, das Nildelta oder die Pyramiden von Gizeh. Außerdem kann der Spieler berühmte Persönlichkeiten wie Kleopatra treffen. Dieser Modus wurde in Deutschland als Lernprogramm eingestuft. Nach Frau Prof. Dr. Angela Schwarz, Historikerin an der Universität Siegen, haben digitale Spiele wie „Assassin’s Creed: Origins“ ein großes Potenzial: „Sie machen als Spiele Spaß, sind interessante und vom Detailreichtum immer aufwändigere Inszenierungen von Geschichte und können als solche auch das Interesse für historische Zusammenhänge steigern.“

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt sich auf der gamescom 2017 die „Minecraft Education Edition“ zeigen. Franziska Krug / Getty Images for game

Spiele sind ein vielseitiges Werkzeug

Auch aus Sicht von Malte Elson, Psychologe von der Ruhr Universität Bochum, kann der Einsatz von Spielen im Unterricht durchaus sinnvoll sein. „Computerspiele sind ein vielseitiges Werkzeug und holen die Schüler in ihrer Lebensrealität ab. Das kann durchaus motivierend wirken“, sagt er. Auch für die Visualisierung von komplexen Inhalten oder historische Ereignisse böten die virtuellen Welten ganz neue Möglichkeiten.
 
Allerdings sollte ihr Einsatz auch pädagogisch sinnvoll sein und in den Unterrichtkontext passen. Sonst verpuffen die positiven Effekte schnell. Einfach nur die Schüler spielen zu lassen, ist in etwa so effektiv wie der Fernsehwagen im Dauereinsatz vor den Sommerferien. Der Einsatz von Games im Unterricht erfordert bisher noch viel Engagement und zeitaufwendige Vorbereitungen durch die Lehrkräfte. Denn im Gegensatz zu Büchern und Filmen gibt es für Computerspiele bisher kaum didaktisches Begleitmaterial, das Pädagogen das Unterrichten erleichtert. Einzig im Bereich der Open Educational Resources finden sich passende Unterrichtsmaterialien, erstellt von Pädagogen, die bewusst auf ihre Urheberrechte verzichten. Darüber hinaus bietet das Projekt „Digitale Spielewelten“ der Stiftung Digitale Spielekultur in Zusammenarbeit mit Spielraum an der TH Köln Orientierungspunkte, wenn es um den Einsatz von Computer- und Videospielen im Unterricht geht. In dem Ratgeber werden Unterrichtskonzepte mit Games zu Themen wie Identität, Flucht oder Geschlecht zur Verfügung gestellt, mit denen viele Lehrer bereits gut Erfahrungen gemacht haben.
 
Neben den didaktischen Hürden gilt es für Lehrkräfte aber auch, zahlreiche technische Hürden zu überwinden, wenn sie Computer- und Videospiele im Schulunterricht einsetzen wollen. So sind viele Schulcomputer veraltet und zu langsam für viele Titel. Nach Felix Falk stecken zahlreiche deutsche Schulen noch in der „Kreidezeit“ fest, wenn es um ihre technische Ausstattung geht. „Während Schülern in den skandinavischen Ländern beispielsweise Laptops, Tablets und Software im Unterricht zur Verfügung stehen, lesen viele deutsche Schüler noch von Wandtafeln oder Overhead-Projektoren ab. Das entspricht weder der Medienrealität der Kinder und Jugendlichen, noch bereitet es sie auf ein Leben in der heutigen Arbeitswelt vor.“ Der zeitliche Unterrichtsrahmen von je 45-Minuten erschwert den Einsatz von Games im Schulalltag zusätzlich. Die Auseinandersetzung mit Spielen findet deshalb häufig in zusätzlichen Projekt- oder Arbeitsgruppen statt.

Über Spiele zu reden, fördert die Medienkompetenz

Diese Erfahrung haben auch Medienpädagogin Christiane Schwinge und ihre Kollegen von der Intiative Creative Gaming immer wieder gemacht und deshalb in Hamburg eine Computerspielschule gegründet. Das Konzept: An jedem Freitagnachmittag können Jugendliche kostenlos in den Bücherhallen Hamburg neue Spiele ausprobieren.
 

Foto: Entdeckungstour von „Assassin’s Creed: Das alte Ägypten“ / Ubisoft

Die Bandbreite des wechselnden „Spielmenüs“ reicht von großen Blockbustern bis zu kleinen Indie-Games. Neben dem Kampf um Erfahrungspunkte und der Eroberung von neuen Welten steht vor allem das Miteinanderspielen im Mittelpunkt. Die Jugendlichen tauschen sich regelmäßig über ihre Erfahrungen aus, schreiben eigene Spiel-Rezensionen oder drehen Let’s-Play-Videos. „Die Auseinandersetzung mit den Inhalten und Charakteren macht den Jugendlichen großen Spaß und fördert gleichzeitig einen bewussteren Umgang mit den Spielen“, erklärt Schwinge. Genau diese grundsätzliche Auseinandersetzung kommt aus ihrer Sicht in der Schule häufig zu kurz – auch wegen Vorbehalten, die Lehrkräfte gegenüber dem Medium haben. Die Medienpädagogin gibt deshalb regelmäßig Workshops an Schulen und bildet Pädagogen fort. „Die Skepsis gegenüber Videospielen ist meistens nur am Anfang vorhanden. Wenn sich die Lehrer intensiver mit den Erzählformen in den Spielen oder den Möglichkeiten zur Visualisierung beschäftigen, ist die Überraschung groß“, berichtet die 36-Jährige. So begann eine Lehrerin inspiriert durch den Workshop „Die Sims“ im Geschichtsunterricht einzusetzen, um das Leben der Inka und Maya nachzuerzählen. Eine weitere Kollegin verknüpfte gemeinsam mit der Medienpädagogin darstellendes Spiel mit den Erzählformen eines Text-Adventures. Die Entstehung solcher Ideen setzt allerdings voraus, dass sich Lehrkräfte auch privat mit den Spielewelten auseinandersetzen – ganz ohne Vorteile und mit viel kindlicher Neugier.

Zusatz: Förderung durch eSports

Wie weit die positiven Lerneffekte von Computer- und Videospiele reichen können, zeigt derzeit auch ein weiteres Beispiel: eSports. Bei eSports handelt es sich um das wettkampfmäßige Spielen von Computer- und Videospielen. In Titeln wie „League of Legends“ (Riot Games), „Splatoon“ (Nintendo) oder „FIFA 17“ (Electronic Arts) treten Einzelspieler und Teams – auch Clans genannt – gegeneinander an.
 
Was die Spieler dabei trainieren, ist das strategische Denken, die Koordination und Teamfähigkeit. Das Spiel verlangt von den Gamern, sich schnell auf sich ändernde Situationen einzustellen und fördert so ihre Lösungskompetenz. Die Games schulen damit Wissen und Fertigkeiten, die in der modernen Arbeitswelt benötigt werden.
 
Schulen in Schweden und Norwegen haben das Potenzial von eSports bereits erkannt und ihn in Lehrpläne aufgenommen. In der norwegischen Arna Vidaregåande Skule beispielsweise können Schüler seit Mitte 2016 in zwei eSports-Klassen ihre Fähigkeiten zusammen trainieren. Die Bewerbungen für die Schule haben sich seitdem verdoppelt.

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Über den Autoren

Birk Grüling schreibt als freier Journalist über Bildung und Gesellschaft. Bei Twitter ist er unter @birkgrueling erreichbar.

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