5. Rechtliche Tipps zu Diversität im Arbeitsalltag Ein Beitrag von Osborne Clarke Im Kontext von Diversität in Unternehmen und Institutionen sind auch aus rechtlicher Perspektive einige Aspekte zu beachten, über die hier ein Überblick gegeben werden soll: Besonders wichtig sind die existierenden vier zentralen Gleichbehandlungsrichtlinien der EU, die mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG, umgangssprachlich auch Antidiskriminierungsgesetz) bereits in deutsches Recht umgesetzt worden sind: Antirassismusrichtlinie (RL 2000/43/EG): zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft Antirassismusrichtlinie: Rahmenrichtlinie Beschäftigung (RL 2000/78/EG): zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf Rahmenrichtlinie Beschäftigung: „Gender-Richtlinie“ (RL 2002/73/EG) zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen. Diese Richtlinie wurde mittlerweile gemeinsam mit anderen Richtlinien zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen neugefasst und zwar durch die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Abl. EG Nr. L 204 S. 23) Richtlinie zur Gleichstellung der Geschlechter auch außerhalb der Arbeitswelt (RL 2004/113/EG): zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Die Richtlinien und das AGG haben in die Arbeitswelt an verschiedenen Stellen – von der Ausgestaltung der Stellenausschreibung bis hin zur täglichen Arbeit – Eingang gefunden. Die EU und der deutsche Gesetzgeber arbeiten ständig daran, Diversität und Gleichbehandlung weiter voranzutreiben, z. B. mit der „Caregiver-Richtlinie“ (RL 2019/1158) oder der „Entgelttransparenz-Richtlinie“ (RL 2023/970) und deren (geplanter) Umsetzung ins deutsche Recht. Die Stellenausschreibung Auf das Thema Diversität müssen Unternehmen bereits früh achten, etwa wenn eine Stelle ausgeschrieben wird. Egal ob die Stelle in sozialen Netzwerken, auf der Unternehmens-Website oder in Bewerberportalen veröffentlicht wird: Es ist wichtig, auf die Details zu achten! Um Bewerberinnen und Bewerber nicht von Anfang an potenziell zu diskriminieren, sollte die Stellenausschreibung geschlechterneutral (unter anderem zum Beispiel mit dem Zusatz „m/w/d“) und neutral bezüglich körperlicher Verfassung formuliert sein. Es sollte kein (un)mittelbarer Altersbezug hergestellt und auf Beschränkungen hinsichtlich ethnischer Herkunft, Religion und Weltanschauung verzichtet werden. Es gilt Neutralität bezüglich sexueller Orientierung. Negativbeispiele sind etwa „Young Professional“, „Berufsanfänger“, „Alter zwischen 25 und 35 Jahren“, „uneingeschränkte körperliche Belastbarkeit“. Ist eine Stellenanzeige aus einem dieser Gründe diskriminieren formuliert, gilt dies als Beweis für eine Diskriminierung von Bewerbern mit dem betreffenden Merkmal. Auch die Recruiting-/HR-Prozesse sollten AGG-konform aufgestellt sein. Andernfalls spricht man nicht alle Bewerberinnen und Bewerber an und verpasst so eventuell die spannendsten Kandidatinnen und Kandidaten. Im schlimmsten Fall entsteht sogar ein Risiko für Schadensersatzansprüche. Im Vorstellungsgespräch und die Absage Nicht nur bei der Stellenausschreibung, sondern auch im Vorstellungsgespräch spielt das Thema Diversität eine wichtige Rolle. Das Fragerecht des Arbeitgebers ist wegen des AGG eingeschränkt. Es gilt, Kommentare wie „Wir müssen uns das überlegen, Sie wären der Älteste im Team“ oder unangebrachte Fragen zu den Diskriminierungsmerkmalen zu vermeiden. Hierdurch werden potenzielle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgeschreckt. Wenn sie gestellt werden, sind die Bewerberinnen und Bewerber berechtigt, diese verbotenen Fragen falsch zu beantworten. Zudem drohen bei der Diskriminierung von Bewerberinnen und Bewerbern eine Entschädigung und Schadensersatz, der im Falle der Nichteinstellung auf bis zu drei Bruttomonatsgehältern begrenzt ist, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Zudem spricht sich diskriminierendes Verhalten in Vorstellungsgesprächen im digitalen Zeitalter schnell rum und schadet dem Ruf eines Unternehmens. Eine Ungleichbehandlung beim Zugang zur Beschäftigung aufgrund eines Merkmals, das mit einem der gesetzlichen Diskriminierungsgründe zusammenhängt, ist nur dann zulässig, wenn das Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, das Ziel legitim und die Anforderung verhältnismäßig ist. Wenn Bewerber für eine Stelle gleich qualifiziert sind, haben Arbeitgeber z. B. das Recht, weiblichen Bewerbern den Vorzug zu geben, um ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern bei der Beschäftigung auszugleichen. Die Pflichten zur Entgelttransparenz, wonach es insbesondere verboten ist, bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit (un)mittelbar bei Gehalt und sonstigen Entgeltbestandteilen und -bedingungen wegen des Geschlechts zu diskriminieren, sollen zukünftig schon vor der Beschäftigung gelten. Bewerberinnen und Bewerber sollen beispielsweise das Recht erhalten, Informationen zum Einstiegsgehalt zu verlangen. Außerdem soll es künftig verboten werden, im Vorstellungsgespräch nach dem bisherigen Einkommen zu fragen. Auch die Absage sollte neutral und objektiv formuliert sein, ohne lange – meist wertende – Begründungen für die Absage, die diskriminierend sein können. Im Arbeitsverhältnis Oft wird vergessen, dass Diversität im Sinne von Diskriminierungsfreiheit auch im Arbeitsverhältnis gelebt werden muss. Dies geht nur, wenn das Unternehmen ein wachsames Auge hinsichtlich einer etwaigen (mittelbaren) Diskriminierung hat. Hierfür sollten Unternehmen ihre Personalabteilungen, aber auch andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sensibilisieren und konkret schulen. Solche Schulungen können als Diversity- oder auch als Teil des Compliance-Managements angeboten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hierfür von der Arbeit freigestellt werden. Im Falle von geschlechtlicher Lohndiskriminierung kann mit den Mitteln des Entgelttransparenzgesetzes und des AGG der Arbeitgeber zur Nachzahlung einer zu gering bemessenen Vergütung verpflichtet sein. Bereits jetzt kann hiernach ein individueller Auskunftsanspruch hinsichtlich der Vergütungskriterien und -verfahren bestehen. Die Vereinbarung einer unterschiedlichen Bezahlung kann insbesondere nicht mit einem besseren Verhandlungsgeschick des männlichen Kollegen gerechtfertigt werden. Zukünftig sollen die Berichtspflichten von Arbeitgebern zur Entgelttransparenz erweitert werden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitere Möglichkeiten zum Schadensersatz und zur Entschädigung erhalten. Der deutsche Gesetzgeber muss diesbezüglich bis 2026 tätig werden. Aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ergibt sich zudem, dass der Arbeitgeber beispielsweise bei Mobbing aktiv einschreiten muss. Jedem Arbeitgeber sollte bewusst sein, dass er Diskriminierung und Mobbing nicht fördern oder auch nur dulden darf. Ansonsten können Schadensersatzansprüche der oder des Gemobbten gegenüber dem Arbeitgeber entstehen. Ergreift der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung am Arbeitsplatz, sind die betroffenen Beschäftigten berechtigt, ihre Tätigkeit einzustellen, soweit dies zu ihrem Schutz erforderlich ist. Dabei behalten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Anspruch auf ihr volles Gehalt, § 14 AGG. Ein wichtiger Aspekt ist die im Unternehmen zu errichtende Beschwerdestelle. § 13 AGG sieht vor, dass es eine solche im Unternehmen geben muss. Bei der Beschwerdestelle sollen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschweren können, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt fühlen. Wie der Arbeitgeber die Beschwerdestelle einrichtet, ist ihm überlassen. Die Beschwerdestelle kann dabei auch eine einzelne Person bei dem Unternehmen oder auch im Betrieb sein. Möglich ist es auch, dass der Geschäftsführer selbst die Beschwerdestelle ist. Dann sollte jedoch zusätzlich eine Ersatzbeschwerdestelle errichtet werden, da sich die Beschwerde theoretisch auch gegen den Geschäftsführer richten kann. Falls möglich empfehlen wir eine Möglichkeit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen, ihre Beschwerde über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz gegenüber einer Person des eigenen Geschlechts vorzubringen. Grundsätzlich sollten Arbeitgeber daher überlegen, ob sie die Beschwerdestelle mit weiblichen und männlichen Personen besetzen. Falls im Unternehmen mehrere diverse Personen arbeiten, raten wir die Beschwerdestelle selbstverständlich zusätzlich mit einer diversen Person zu besetzen. Existiert ein Betriebsrat, ist noch Folgendes zu berücksichtigen: Die Zuweisung der Aufgaben als Beschwerdestelle kann eine Versetzung nach dem BetrVG sein und der Betriebsrat muss in der Folge angehört werden, § 99 BetrVG. In Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten muss der Betriebsrat außerdem jeder Einstellung zustimmen, wobei er seine Zustimmung aus bestimmten Gründen verweigern kann. Mittelbar können noch weitere Aspekte wie der Arbeitsschutz einen Einfluss auf die Diversität in Unternehmen haben. Werdende Mütter und Eltern werden Unternehmen schneller verlassen beziehungsweise sich überhaupt nicht dort bewerben, wenn das Unternehmen den gesetzlichen (Arbeits-)Schutz nicht gewährleistet. Für werdende Mütter gilt es nicht zuletzt die Schutzfristen zu beachten, wonach diese grundsätzlich nur bis zu sechs Wochen vor der Geburt arbeiten und nach der Geburt acht Wochen zu Hause bleiben müssen. Im Jahr 2024 soll außerdem eine weitere Regelung die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt sicherstellen: Es soll eine Partnerfreistellung eingeführt werden, wonach der zweite, nicht gebärende, Elternteil nach der Geburt eines Kindes für zehn Tage (zwei Wochen) bezahlten Urlaub nehmen kann. Es ist aktuell unklar ist, wann dieses mit welchem Inhalt in Kraft tritt. Bereits jetzt gibt es mit der Elternzeit, eine gesetzlich geregelte, unbezahlte, aber vom Staat geförderte Freistellung von der Beschäftigung, um sich der Kindeserziehung zu widmen. Zudem hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren die Rechte von Arbeitnehmern bezüglich der Freistellung wegen Pflege oder Kindererziehung verbessert und Arbeitgeber in die Pflicht genommen, eine Ablehnung von Arbeitnehmeranträgen zu begründen. Im Zweifel sollte man keine Scheu haben, Rat von entsprechenden Experten einzuholen.