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4 Thesen zur Zukunft des Esports

Die Geschwindigkeit der Esports-Entwicklung ist einmalig. Innerhalb weniger Jahre ist der digitale Wettkampf ins öffentliche Scheinwerferlicht gerückt. Rekorde bei der Anzahl der Zuschauenden sind ebenso die Folge wie neue Sponsoren. Dabei hat der Esport sein Potenzial bei weitem noch nicht ausgeschöpft. In diesem Kapitel gibt es daher gleich vier Thesen, wie sich der digitale Wettkampf in den kommenden Jahren noch entwickeln könnte. Ob weiteres Marktpotenzial, der weitere Aufstieg von Esportlerinnen, Mobile Esport oder der Trend zur Regionalisierung: der digitale Wettkampf bietet in verschiedenen bereichen noch viel Potenzial für eine positive Entwicklung in den kommenden Jahren.

Zukunftstrend: Marktpotenzial

Esport ist in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen enorm gewachsen. Ob Zuschauerinnen und Zuschauer oder Umsätze: Es ist kein Jahr ohne Superlative in den verschiedenen Bereichen vergangenen. Teams werden von den unterschiedlichsten Unternehmen gesponsort und neue Rekorde bei Preisgeldern aufgestellt. Daher wirkt der Verweis auf das große Marktpotenzial des Esports zuerst nicht sonderlich überraschend. Doch die Corona-Pandemie hat auch im Esport einiges auf den Kopf gestellt: Zwar ist die Anzahl der Zuschauerinnen und Zuschauer Online-Turnieren insbesondere in den Lockdown-Phasen gewachsen, dennoch wird es laut Marktanalysten einen zumindest kurzfristig bremsenden Effekt auf den Esport-Markt geben. So mussten die Experten von Newzoo gleich zwei Mal ihre Marktprognose für 2020 nach unten korrigieren. Vor allem die fehlenden Ticketeinnahmen großer Turniere haben sich negativ ausgewirkt.  So fällt es vielen Branchenbeobachtern insgesamt schwer, die mittelfristigen Auswirkungen der Pandemie auf den Esport einzuschätzen, wie die Expertenbefragung von Deloitte, game esports und ISFE Esports in Let’s Play! 2020. The European esports market gezeigt hat.

Der Verweis auf das große Marktpotenzial des Esports wirkt nicht überraschend. Doch die Corona-Pandemie hat auch im Esport einiges auf den Kopf gestellt.

Doch auch, wenn das Wachstum 2020 nicht so stark ausfallen konnte, wie zunächst prognostiziert: Das Marktpotenzial von Esport ist ungebrochen groß! Und das zeigt sich an unterschiedlichen Faktoren: Erstens wächst das Esport-Publikum weltweit weiter. Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns mögen dieses Wachstum sogar noch einmal beschleunigt haben, da zu diesem Zeitpunkt mehr Menschen als zuvor bei den Online-Events eingeschaltet haben. Zweitens bleibt der Esport aufgrund der besonders jungen und gut gebildeten Fans für viele Unternehmen als Marketingplattform besonders attraktiv. Deutlich wird dies nicht zuletzt durch Partnerschaften, die auf substanziellen Investitionen beruhen wie der Einstieg von Mercedes-Benz in die Esport-Organisation SK Gaming. Drittens hat der Esport einige weitere Wachstumsfelder bisher noch kaum erschlossen: Hierzu gehören unter anderem die beiden Zukunftstrends „Es wird mehr professionelle Esportlerinnen auf Top-Niveau geben“ und „Mobile Esport“. Beide bieten enormes Potenzial für zukünftiges Wachstum. So besteht die Hälfte der Spielerschaft in vielen Ländern wie in Deutschland aus Frauen. Würden mehr Esportlerinnen eine höhere Sichtbarkeit bei den Top-Turnieren und -Ligen haben, würden dadurch auch vermehrt Frauen für den Esport begeistert werden. Und mit Mobile Esport würde die weltweit riesige Zielgruppe besser erreicht werden, die teilweise überwiegend oder sogar nur noch auf Smartphones und Tablets spielt. All diese Punkte sprechen trotz vorrübergehenden schwierigen Rahmenbedingungen für ein weiteres Marktwachstum des Esports in den kommenden Jahren.

Auch wenn das Wachstum 2020 nicht so stark aus fallen konnte, wie zunächst prognostiziert: Das Marktpotenzial von Esport ist ungebrochen groß!

Zukunftstrend: Es wird es mehr profes­sionelle Esportlerinnen auf Top-Niveau geben

Frauen sind ein wichtiger Bestandteil der Esport-Community. Ob als Team-Managerinnen, Kommentatorinnen oder Casterinnen – in vielen Bereichen des professionellen Esport nehmen Frauen bereits heute zentrale Rollen ein. Und auch die Zahl der Profi-Spielerinnen wächst zusehends. In den kommenden Jahren werden wir deshalb mehr Top-Gamerinnen in den weltweiten Spitzen-Ligen sehen.

Einen ersten Schritt in diese Richtung gehen etwa die beiden Esport-Organisationen Cloud9 und Gen.G. Sie gaben im Oktober 2020 bekannt, für den Shooter Valorant rein weibliche Profi-Teams aufzubauen; Gen.G verfügt seit 2019 zudem über ein rein weibliches Profi-Team für den Titel Fortnite. Und auch die Anfang 2020 in Köln gegründete esports player foundation wird die Entwicklung hin zu mehr Frauen im Esport unterstützen. Sie möchte, dass von ihren perspektivisch 450 geförderten Profi-Spielern mindestens ein Drittel Frauen sind.

Dieser systematische Ansatz ist notwendig, um mehr Spielerinnen in die Weltspitze zu bekommen. Denn auch, wenn sich professionelle „all-female“ Teams wie etwa das 2016 in Hong Kong gegründete PandaCute bereits erfolgreich in Titeln wie League of Legends behaupten können oder immer wieder einzelne Spielerinnen in Titeln wie Counter-Strike, Overwatch oder FIFA herausstechen – die Gamerinnen spielen meist in reinen Frauen-Turnieren. Bei den internationalen Top-Turnieren wie den Intel Extreme Masters oder dem The International sind Esportlerinnen bisher noch die Ausnahme. Dabei gibt es im Esport weder explizite Männer-Teams noch -Ligen. Ganz im Gegenteil: Im Vergleich zum klassischen Sport gibt es im Esport keine körperlichen Unterschiede, Frauen treten unter den gleichen Wettkampfbedingungen an wie Männer.

Der Aufbau reiner Frauenteams durch einige der größten internationalen Esport-Organisationen sowie die gezielte Förderung wie die durch die esports player foundation werden dazu beitragen, dass in den kommenden Jahren vermehrt Esportlerinnen an den Top-Turnieren und -Ligen teilnehmen. Das ist für den Esport und sein künftiges Wachstum von großer Bedeutung und wird auch seitens der Sponsoren stärker gefordert werden, wie das Beispiel des Gen.G-Frauenteams mit seinem Sponsor Bumble bereits heute zeigt. Mit dem Zuwachs an professionellen Gamerinnen und damit an weiblichen Vorbildern im Esport wird auch die Zahl der Frauen steigen, die sich Esport-Vereinen anschließen und selbst eine Profi-Karriere im digitalen Wettkampf anstreben werden; denn an Spielerinnen mangelt es nicht: Bereits heute machen Frauen die Hälfte der Gamer in Deutschland aus. Was den Esport betrifft, lässt sich mit Blick in die Zukunft also nur sagen: Aus der Ausnahme wird die neue Normalität.

Zukunftstrend: Mobile Esport

Denkt man an Esport, fallen einem sofort einige der erfolgreichsten Titel ein: Ob League of Legends oder Dota 2, Counter-Strike oder Tom Clancys Rainbow Six Siege, Rocket League oder FIFA. Eines haben all diese Titel gemeinsam: Sie werden auf PCs und Spielekonsolen gespielt. Ein Blick auf die Entwicklung der weltweiten Games-Märkte in den vergangenen Jahren zeigt aber: Spiele für Smartphones und Tablets sind besonders erfolgreich und haben eine Spitzenposition aufgebaut – sowohl was die Anzahl der Spielerinnen und Spieler angeht als auch die Umsätze. In Deutschland sind Smartphones und Tablets seit 2018 die beliebteste Spiele-Plattform. Fernab Europas ist der Abstand zwischen PC und Spielekonsole zu Smartphones und Tablets als Spiele-Plattform nochmals deutlich größer. Insbesondere in Asien spielen die Mobilgeräte als Spiele-Plattform die entscheidende Rolle. Und so, wie Esport sich bereits früh in Südkorea etablieren konnte, bevor die Entwicklung auch überall anders in der Welt an Schwung gewann, könnte Asien auch der Vorreiter für einen weiteren entscheidenden Trend der kommenden Jahre sein: Mobile Esport.

Der Aufbau reiner Frauenteams durch einige der größten internationalen Esport-Organisationen so-wie die gezielte Förderung wie die durch die esports player foundation werden dazu beitragen, dass in den kommenden Jahren vermehrt Esportlerinnen an den Top-Turnieren und -Ligen teilnehmen.

Dachte man viele Jahre bei Spiele-Apps vor allem an Casual-Titel für den schnellen Zeitvertreib zwischendurch, hat sich dieser Markt im Zuge des starken Wachstums in den vergangenen Jahren deutlich diversifiziert. Auch ist die Leistungsfähigkeit von Smartphones deutlich gestiegen. Zahlreiche Titel, die auf kompetitives Spielen setzen, sind hinzugekommen. Hierzu gehören Spiele-Apps wie Arena of Valor oder Vainglory, die das im Esport besonderes erfolgreiche Moba-Genre auf Mobilgeräte gebracht haben, ebenso wie PUBG Mobile oder Call of Duty Mobile, die Battle-Royal- und First-Person-Shooter-Ableger der bekannten Marken. Auch Strategiespiele wie Clash Royale oder Summoners War: Sky Arena oder Kartenspiele wie Hearthstone gehören zu den Spiele-Apps, die kompetitiv gespielt werden. Mit League of Legends: Wild Rift ist 2021 auch ein Smartphone-Ableger des derzeit beliebtesten PC-Esport-Titels erschienen. Mobile-Esport-Turniere sind dabei bereits durchaus hochdotiert: So bietet das PUBG Mobile Global Championship insgesamt 2 Millionen US-Dollar Preisgeld. Insgesamt soll laut Berechnungen der Marktanalysten von Sensor Tower und Niko Partners das Preisgeld von Mobile-Esport-Turnieren im Profi- und Amateurbereich 2019 allein in China bei rund 30 Millionen US-Dollar gelegen haben. Das wäre eine Steigerung um rund 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch in Europa fanden bereits erste große Turniere statt, etwa der Europe Cup des Summoners War World Arena Championship oder das globale Finale der PUBG Mobile Club Open.

Auch wenn Mobile Esport im Vergleich zu den klassischen Esport-Titeln in westlichen Märkten bisher noch vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit bekommt, ist die Entwicklung eindeutig: Mobile Esport wird weiter wachsen und ist einer der Trends der kommenden Jahre.

Zukunftstrend: Esport ist lokal und global

Der Esport hat seine Wurzeln in einem sehr lokalen Phänomen: Bei sogenannten LAN-Partys, die gerade bei Gamerinnen und Gamern ab Ende der 1990er Jahre äußerst populär waren. Hiertrafen sich bis zu mehrere Hundert Menschen, um gemeinsam mit- und gegeneinander Computerspiele zu spielen. Aus losen Internetbekanntschaften entstanden hier Freundschaften, aus Clans wurden professionelle Esport-Teams und auch die Ursprünge von Unternehmen wie der Electronic Sports League (ESL) aus Köln, einem der weltweit führenden Veranstalter von Esport-Events, sind hier zu finden. Durch die zunehmende Verfügbarkeit von schnellen Internetanschlüssen ab spätestens Mitte der 2000er Jahre hat sich Esport immer stärker globalisiert. Partien vom anderen Ende der Welt konnten nun per Stream verfolgt werden und auch das Training über Ländergrenzen hinweg wurde alltäglich. Die Teams wurden so immer internationaler, da der Wettstreit nun immer mehr auf globaler Ebene stattfand.

Spiele für Smartphones und Tablets sind besonders erfolgreich und haben eine Spitzenposition aufgebaut – sowohl was die Anzahl der Spielerinnen und Spieler angeht als auch die Umsätze. In Deutschland sind Smartphones und Tablets seit 2018 die beliebteste Spiele-Plattform.

Der lokale Bezug ging dabei aber nie verloren: So fand 2013 mit der DreamHack in Schweden die bisher größte LAN-Party mit über 22.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt und der Ableger in Leipzig ist seit 2016 sehr erfolgreich. Neben diesen großen Events entstanden in den vergangenen Jahren immer mehr lokale Anlaufstellen für Esport-Fans sowie Spielerinnen und Spieler: In verschiedenen Städten gibt es immer mehr Gaming-Bars, die als ganzjähriger Treffpunkt dienen. Und in allen Bundesländern sprießen Esport-Vereine aus dem Boden, in denen sich zusammengenommen Tausende vor allem junge Menschen ehrenamtlich organisieren. Daneben entstehen in vielen Großstädten neue Anlaufstellen für Spielerinnen und Spieler. Vorhaben wie das LVL – World of Gaming, das Gaming House in Hamburg oder auch die Esport Factory in Osnabrück zeigen, in welche Richtung sich der Markt entwickelt: Die Locations sind zugleich Esport-Arenen, Trainingsräume, LAN-Party sowie Store, Bars und Kino. Und damit lokaler denn je.

Nachdem das globale Esport-Wachstums über viele Jahre im Mittelpunkt stand, wird die Entwicklung der digitalen Wettkämpfe vor Ort wieder wichtiger: Lokale Vereine, Uni-Sport, LAN-Partys und neue Anlaufstellen in vielen Städten ergänzen zusammen mit der internationalen Ebene das Esport-Ökosystem

Nachdem das globale Esport-Wachstums also über viele Jahre im Mittelpunkt stand, wird die Entwicklung der digitalen Wettkämpfe vor Ort wieder wichtiger: Lokale Vereine, Uni-Sport, LAN-Partys und neue Anlaufstellen in vielen Städten ergänzen zusammen mit der internationalen Ebene das Esport-Ökosystem und werden in den kommenden Jahren noch weiter an Relevanz gewinnen.

Interview

Hans Christian Dürr,
Riot Games

„Der Esport-Boom ist ungebrochen. Die Corona-Pandemie hat zuletzt sogar noch für zusätzliche Aufmerksamkeit gesorgt.“

Wie bewerten Sie die allgemeine Entwicklung von Esport? Was sind die Herausforderungen/was sind besondere Erfolge?

Der Esport-Boom ist ungebrochen. Die Corona-Pandemie hat zuletzt sogar noch für zusätzliche Aufmerksamkeit gesorgt: Zum einen hatten Millionen Menschen durch den Lockdown mehr Zeit, zum anderen sind viele klassische Sportveranstaltungen ausgefallen und wurden teilweise durch Esport-Events ersetzt. Die starke Entwicklung des Esports hat die Professionalisierung zudem weiter vorangetrieben: Riot Games allein beschäftigt in Berlin über 80 Personen. Das gesamte Esport-Ökosystem vom Breitensport über regionale Ligen bis zu den internationalen Profiligen und -meisterschaften ist enorm gewachsen. Hinzu kommen noch die Teams, Profispielerinnen und -spieler sowie Medien und Sponsoren. Auch politisch gab es gute Entwicklungen: Das Land Berlin unterstützt an vielen Stellen und auf Bundesebene helfen ganz besonders die neuen Visa-Regelungen, um internationale Spielerinnen und Spieler nach Deutschland zu bringen. Es gibt aber auch noch einige Herausforderungen: Soll die Entwicklung des Esports voranschreiten, würde generell noch mehr Offenheit helfen – was nicht zuletzt die Debatte um die Gemeinnützigkeit zeigt.

2020 hat Riot Games die neue Prime League gestartet, die deutlich regionaler organisiert ist als die LEC, die League of Legends European Championship. Ist insgesamt eine stärkere „Regionalisierung“ des Esport in den kommenden Jahren zu erwarten?

Die Prime League bietet ein Zuhause für alle Spielerinnen und Spieler im deutschsprachigen Raum, die sich kompetitiv mit anderen in League of Legends messen wollen. Die Liga ist damit niedrigschwelliger, was den Reiz ausmacht. Die Resonanz ist überwältigend: Über 1.000 Teams nehmen in den verschiedenen Divisionen teil – allein im deutschsprachigen Raum! Insgesamt sind regionale Formate eine sehr gute Ergänzung zur LEC und bieten gerade auch heranwachsenden Talenten eine Plattform, um wichtige Wettkampferfahrungen zu sammeln. Mehr und mehr Spielerinnen und Spieler aus den Regionalligen werden für unsere multinationalen Ligen wie die LEC entdeckt. Es ist daher gut vorstellbar, dass auch andere Spiele diese Regionalisierung noch stärker vorantreiben werden.

Nach über 10 Jahren gibt es den Esport-Dauerbrenner League of Legends. Mit League of Legends: Wild Rift unter anderem auch für Smartphones. Welches Potenzial haben Smartphone-Spiele für den Esport?

Spiele für Smartphones sind niedrigschwelliger als PC- oder Konsolen-Games. Von überall aus kann man spielen. Dabei gilt: Können und Geschwindigkeit sind auf dem Touchscreen genauso entscheidend wie mit Maus und Tastatur. Daher eignen sich Smartphone-Spiele genauso als Esport-Titel. Vor allem Asien ist hier schon etwas weiter: Es gibt bereits Ligen, die sich rasant professionalisieren, sowie eine stark steigende Zuschauerschaft. Das Ziel muss es sein, ein nachhaltiges Ökosystem zu schaffen, damit es für Teams, Spielerinnen und Spieler sowie Sponsoren gleichermaßen attraktiv ist, sich zu engagieren. Die Basis hierfür besteht auf jeden Fall, denn mit Mobile Esport wird eine breitere Zielgruppe angesprochen.

Im Laufe der Jahre hat sich ein Esport-Ökosystem entwickelt, das immer mehr Akteure begeistert.