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Die Geschichte des Esports

Wer hat Esport erfunden? So könnte die Frage lauten, wenn es darum geht, wer als Erstes die Millionen Jahre alte Kulturtechnik des Spielens und Wettkampfs ins digitale Zeitalter gebracht hat.

Der britische Informatikprofessor Alexander Shafto Douglas und der amerikanische Physiker William Higinbotham können als zwei Wegbereiter gelten. Denn mit ihren Spielen OXO (1952) und Tennis für Two (1958) haben sie nicht nur erste Grundlagen für Computer- und Videospiele gelegt. Sie haben damit auch einen wichtigen Beitrag für das kompetitive Spielen von Games geleistet und damit für den Erfolg des heutigen Esports. Neben ihnen hat zudem der amerikanische Informatiker Steve Russel maßgeblich zur Entwicklung des digitalen Wettkampfs beigetragen. Seine Weltraum­simulation Spacewar! zeigte 1962 erstmals, wie es aussah, wenn ein menschlicher Spieler gegen einen computersimulierten Gegner antreten konnte. Russell hatte das Spiel am Massachusetts Institute of Technology konzipiert. Ziel des Games ist es, ein mit Geschossen ausgerüstetes Raumschiff erfolgreich gegen ein Gravitationsfeld zu steuern, um das gegnerische Schiff zu zerstören. „Spacewar!“ war dabei nicht nur eins der ersten Games, bei dem ein Spieler gegen einen Computer antreten konnte: Die Intergalaktische Spacewar!-Olympiade vom Oktober 1972 gilt als das erste offizielle Videospielturnier. Damals hatten sich 24 Spielende zum gemeinsamen Wettkampf getroffen.

Einen weiteren Einfluss auf die Entwicklung des heutigen Esports nahm zu Beginn der 1970er Jahre das Aufkommen neuer und günstigerer Computer für den Heimgebrauch; und auch die ersten stationären Spielekonsolen mit vorprogrammierten Spiele­modifikationen wie die Magnavox Odyssey machten den digitalen Wettkampf nun am heimischen Fernseher möglich.

Darüber hinaus trug auch das Aufkommen von Arcade-Automaten dazu bei, dass Computer- und Videospiele einem immer größeren Bevölkerungsteil zugänglich wurden. Arcade-Spiele wie Computer Space (1971), Pong (1972), Space Invaders (1978), Pac-Man (1980) oder Donkey Kong (1981), die in Videospielhallen gespielt werden konnten, prägten ganze Generationen von Spielerinnen und Spielern – sowohl in den Arcade-Hallen als auch später durch Neuauflagen der Klassiker für Spielekonsolen. Allein zur Space Invaders Championship von Atari traten bereits 1980 über 10.000 ­Gamerinnen und Gamer gegeneinander an.

Einen weiteren Grundstein für den heutigen Erfolg von Esport legte der Amerikaner Walter Day. Day, Betreiber der Spiel­halle Twin Galaxies in Ottumwa, Iowa, etablierte 1982 den ersten Rekord­richterdienst für Videospiele. Sein Twin Galaxies National Score­board war die erste internationale Bestenliste für Video­spiele, anhand derer Highscores nach vorgegebenen Regeln verglichen werden konnten. Darüber hinaus gründete Walter Day 1983 das erste professionelle Videospielteam, das U.S. National Video Game Team, und veranstaltete im August desselben Jahres das erste landesweite Video-Game-Masters-Turnier der USA, die North American Video Game Challenge. Mit seinem Twin Galaxies National Scoreboard, den Wettbewerben und seinem Esport-Team gilt Day als ein Esport-Pionier.

Seit den Erfindungen von Douglas, Higinbotham und Co. gab es viele weitere Entwicklungen im Bereich des kompetitiven Computer- und Videospielens. Den Arcade-Automaten und Spielekonsolen der ersten Generation folgten zahlreiche Weiterentwicklungen. Die neuen Technologien und Möglichkeiten trugen dazu bei, dass das Spielen von Games mit- und gegeneinander zunehmend einfacher wurde.

So konnten Gamer durch das Aufkommen neuer Netzwerk­technologien und -schnittstellen Anfang der 1990er Jahre erstmals ihre Heimcomputer in einem lokalen Netzwerk miteinander verbinden. Die Spieler nutzten diese Option, um ihre Geräte auf ­sogenannten LAN-Partys zu vernetzen und gemeinsam zu spielen. Im Fokus standen dabei das gemeinschaftliche Spielen, die Gesellig­keit in einer Clique und der Teamgedanke. LAN-Partys sollten sich schnell verbreiten und professionalisieren.

Waren die Netzwerkpartys zu Beginn noch durch eine geringe Anzahl von Teilnehmern im privaten Umfeld geprägt, gewannen sie ab Mitte der 1990er Jahre zunehmend an Popularität und wurden professionell organisiert. Die deutsche Gamers Gathering lockte schon im Dezember 1999 insgesamt 1.600 Teilnehmer aus ganz Europa nach Duisburg zu dem bis dato größten digitalen Kräftemessen in Action-, Renn- oder Strategiespielen. Die DreamHack Winter 2004 im schwedischen Jönköping konnte fünf Jahre später mit insgesamt 5.272 Teilnehmern einen neuen Weltrekord aufstellen.

Doch nicht nur für das gemeinsame und kompetitive Spielen waren LAN-Partys zentral. Vor beziehungsweise nach den Treffen wurden Spielerinnen und Spieler auch selbst zu Gestaltern: Sie entwickelten Games selbst weiter, kreierten neue Spielszenarien und -level mit Blick auf die gewünschten Spielvoraussetzungen und Texturen. Als eine der bekanntesten Modifikationen gilt hierbei das Spiel Counter-Strike. Es ist eine Modifikation des Games Half-­Life und wurde 1999 von zwei Informatikstudenten mit Blick auf mehr Teamplay entwickelt. Bis heute ist Counter-Strike eines der populärsten Multiplayer-Spiele, dessen Community nach wie vor neue Level entwickelt. Es ist damit nicht nur ein Beispiel dafür, wie Spielerinnen und Spieler durch die neuen technischen Möglichkeiten selbst damit begannen, Titel ihren Anforderungen und Vorstellungen anzupassen. Counter-Strike wurde unter den Spielenden auch so beliebt, dass Valve, der Entwickler von Half-Life, die Modifikation übernahm und als eigenständiges Spiel herausgab. Bis heute sind zahlreiche neue Versionen erschienen. Counter-Strike ist auch 20 Jahre nach Erscheinen einer der weltweit erfolgreichsten Esport-Titel.

Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Breitband-Internetzugängen und der steigenden Leistungsfähigkeit der Spiele-PCs nutzten zu Beginn der 2000er Jahre auch immer mehr Spielerinnen und Spieler die Möglichkeit, über das Internet gegeneinander zu spielen. Anstatt auf die nächste LAN-Party warten zu müssen, konnten sie jederzeit mit- und gegeneinander spielen – über Länder- und Zeitzonen hinweg.

Als Vorreiter dieser Entwicklung kann dabei Südkorea gelten. Dort gründete man bereits im Jahr 2000 einen eigenen Esport-Verband (KeSPA), der sich fortan um die südkoreanische Esport-Szene kümmerte. Fernsehsender wie OnGameNet, gegründet im Jahr 2000, spezialisierten sich von Beginn an auf die Ausrichtung von Esport-Wettkämpfen und die Berichterstattung. Und schon 2002 stiegen große Firmen wie Samsung und SK Telecom als Sponsoren in die digitale Wettkampfszene ein. Südkorea gilt damit als Pionier für die Professionalisierung des digitalen Wettkampfs, dem über die Jahre zahlreiche weitere Länder mit eigenen Esport-Verbänden, -Ligen oder -Unternehmen folgten.

Wie kaum eine andere Disziplin hat sich der digitale Wettkampf in den vergangenen Jahren aus einem Nischen- zu einem Massen­phänomen entwickelt. War er Ende der 1990er Jahre noch vorwiegend Gamerinnen und Gamern bekannt, werden die großen Turniere für Titel wie League of Legends (Riot Games), Dota 2 (Valve), Counter-Strike (Valve), Overwatch (Blizzard), Fortnite (Epic Games) oder FIFA (Electronic Arts) heute von Millionen Menschen weltweit per Livestream und in ausverkauften Stadien verfolgt. Allein in Deutschland schauen rund 12 Millionen Menschen Esport-Events. Dies geschieht entweder live vor Ort, per Livestream über Online-Streaming- oder als Aufzeichnung auf Plattformen wie YouTube, Twitch oder Facebook Gaming.

Wie sehr sich die digitalen Wettkämpfe in den vergangenen Jahren professionalisiert haben, verdeutlichen unter anderem die immer stärkere TV-Präsenz und neue Investoren fernab der Games- und IT-Branche. Auch die Preisgelder, um die auf internationalen Meisterschaften wie League of Legends Worlds, ESL One, dem Fortnite World Cup oder The International gespielt wird, erreichen teilweise achtstellige Beträge. Zum Vergleich: Erhielt der Sieger der Intergalaktischen Spacewar!-Olympiade 1972 noch ein Jahresabonnement der Zeitschrift Rolling Stone, bekamen die Gewinner des ersten Nintendo World Championship-Finales 1990 bereits 10.000 US-Dollar in Sparbriefen und zusätzliche Sachpreise. Beim The International 2019 wurde schließlich um ein Preisgeld von über 34 Millionen US-Dollar gespielt – Tendenz weiter steigend.

Grundlagen
Der britische Informatikprofessor Alexander Shafto Douglas und der amerikanische Physiker William Higinbotham entwickelten die Spiele OXO (1952) und Tennis for Two (1958).

Der erste Computergegner
Erstmals trat 1962 im Spiel Spacewar! ein menschlicher Spieler gegen einen computersimulierten Gegner an.

Das erste offizielle Videospielturnier
Die Intergalactic Spacewar Olympics im Oktober 1972.

Videospiele zu Hause
Die Magnavox Odyssey war 1972 die erste stationäre Videospielkonsole für den heimischen Fernseher.

Ein bedeutender Esport-Pionier
Walter Day organisierte in den 1980er Jahren Videospiel-Wettbewerbe, gründete das erste Videospiel-Team und betrieb neben seiner Spielhalle in Iowa die erste Bestenliste der USA.

LAN-Partys
Durch neue Netzwerktechnologien begannen Gamer in den 1990er Jahren, ihre Computer lokal zu vernetzen und gemeinsam zu spielen.

Ein selbst entwickelter Meilenstein Counter-Strike gilt als eins der bekanntesten Multiplayer-Spiele – es wurde 1999 von zwei Informatikstudenten als eine Modifikation des Spiels Half-Life entwickelt.

Ausverkaufte Hallen

Große Esport-Events werden heute von Millionen Menschen per Livestream und in ausverkauften Hallen verfolgt.

Populäre Gamerinnen und Gamer
Viele Esportlerinnen und Esportler genießen heute einen Status, der sonst nur Popstars vorbehalten ist.

Interview

Melek Balgün,
freie Moderatorin und Esport-­Expertin

„Esport kommt immer mehr in der Mitte der Gesellschaft an.“

Wie bewerten Sie die Entwicklung von Esport in Deutschland in den vergangenen Jahren? Welche Hürden bestehen nach wie vor?

Der E-Sport kommt immer mehr in der Mitte der Gesellschaft an. Games sind heute fester Bestandteil der Jugendkultur und bereits in der Grundschule werden die ersten Berufswünsche in Richtung Profi Gamer oder Let’s Player laut. Es findet also ein großer Umbruch statt und die Thematik des wettbewerbsorientierten Computerspielens findet immer mehr Anerkennung.

Jedoch ist es natürlich noch immer sehr schwer, diese Thematik den älteren Generationen näherzubringen. Nach wie vor gibt es noch viele Skeptiker, sei es innerhalb nicht endemischer Unternehmen oder der Politik. Zwar kann man hier auch schon eine positive Entwicklung sehen, das geht meiner Meinung nach aber noch viel zu langsam vonstatten. Wenn sich das nicht in nächster Zeit ändert, verliert Deutschland endgültig den Anschluss an die internationalen Wettbewerber.

Wie gestaltete sich Ihr persönlicher Einstieg in die Esport-Szene?

Ich bin mit Technik aufgewachsen und war schon immer von Spielekonsolen und PCs umgeben. Mit etwa 12 Jahren habe ich mir beispielsweise aus Restteilen meinen ersten eigenen PC zusammengebaut. In der 9. Klasse kam ich erstmals mit Counter-Strike in Berührung, dem Spiel, mit dem ich 2007 an der Weltmeisterschaft in Paris teilnahm. Und als ich zu meinem 16. Geburtstag einen Breitbandanschluss geschenkt bekam, habe ich auch an Online-¬Ligen und – turnieren teilgenommen. Bis ich schließlich 2012 die Maus gegen ein Mikrofon eingetauscht habe.

Sie haben in den vergangenen Jahren für zahlreiche Medienkanäle (z.B. Deutsche Welle, ARTE) Esport-Formate moderiert und präsentiert, wurden 2019 selbst mit dem deutschen Sportjournalistenpreis für Ihre Berichterstattung ausgezeichnet. Wie nehmen Sie den Wandel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Esport wahr?

Was deutlich zu verzeichnen ist, ist das gesteigerte Interesse der traditionellen Medien am E-Sport. Viele Medienportale nehmen E-Sport bereits heute in ihre traditionelle Sportberichterstattung auf. Digitale und lineare Fernsehsender bauen eigene Programmpunkte rund um das Thema auf. Diese Entwicklung ist in jedem Falle positiv einzustufen. Denn auch dadurch verliert E-Sport sein lange Zeit geltendes Stigma. Auch wenn es hin und wieder Medienstücke gibt, die ihre Voreingenommenheit nicht ablegen können.

Tendenziell nehmen die Klischees gegenüber Akteuren der Branche aber ab. Und die Branche bringt immer mehr Persönlichkeiten hervor, die die Thematik positiv an Menschen herantragen können, die vorher keine Berührungspunkte mit dieser doch jungen Branche hatten. Teil unserer Verantwortung ist es nun, diese Grenzen weiterhin aufzuweichen.

Melek Balgün ist Moderatorin und Esport-Expertin.