03

"Lernen darf auch Spaß machen"

Immer mehr Unternehmen, Hochschulen und Schulen setzen auf Serious Games. Doch wie gut funktioniert eigentlich Lernen mit Computer- und Videospielen? Diese Frage beantwortet Martin Steinicke, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Creative Media Research and Development Group an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

Was spricht für das Lernen mit Serious Games?

Ein Argument ist die Motivation. Spielerisches Lernen wirkt oft motivierender als herkömmliche Lernformen, jedenfalls bei der richtigen Dosierung. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger Punkt. Doch es gibt noch ein anderes, wenig beachtetes Argument. Beim Game-based Learning lernen wir erfahrungsbasiert und interaktiv. In einem guten Serious Game kann ich Dinge ausprobieren, erleben und aber eben auch scheitern. Daraus entsteht ein besseres Verständnis für komplexe Zusammenhänge, als wenn ich „nur“ einen Text lese.

Spielerisches Lernen wirkt in der richtigen Dosierung oft motivierender als herkömmliche Lernformen.

Welche Inhalte eignen sich gut für die inter­aktive Wissens­vermittlung?

Das ist keine Frage des Inhalts, sondern seiner Vermittlung. Ein gutes Spiel gibt den Inhalt nicht nur korrekt wieder, sondern bezieht ihn auch in die Spieldynamik mit ein. So kann ich im besten Fall gar nicht anders, als etwas zu lernen. Abseits der Vermittlung gibt es noch andere Hürden. Zum Beispiel haben es Nischenthemen bei Serious Games schwer, vor allem weil es keinen Markt dafür gibt. Deshalb sehen wir viele „Game-based Learning“-Ansätze zu Themen wie Projektmanagement oder Führungskräfte-Training. Das brauchen einfach sehr viele Unternehmen, entsprechend groß ist das wirtschaftliche Potenzial.

Das ist ein interessanter Punkt. Wie lässt sich Wissen über die Spielmechanismen vermitteln?

Bei jedem Videospiel möchte ich ein besonderes Erlebnis für die Spielenden erzeugen. Deshalb muss ich mir Gedanken um passende Spielmechaniken machen – soll etwa das Gefühl vermittelt werden, strategisch die Geschicke von Nationen zu lenken, wäre eine First-Person-Sicht oder ein Puzzlespiel wenig sinnvoll. Ähnlich ist es bei Serious Games. Auch hier gibt es Mechaniken, die sich besser für ein Thema eignen als manch andere. Mit einer First-Person-Sicht lassen sich gut einzelne Handgriffe zeigen, zum Beispiel das Zusammenbauen eines Motors oder eine medizinische Operation, bei einer Simulation eher komplexe Zusammenhänge, beispielsweise aus Wirtschaft oder Politik. Leider erleben wir bei Serious Games immer wieder, dass genau diese Überlegungen zu kurz kommen.

Mit welcher Folge?

Ich kenne unzählige Lernspiele, in denen Inhalt und Spielmechanik nicht zusammenpassen. Etwas flapsig ausgedrückt: Es bringt nichts, wenn ich ein Level lang Zombies bekämpfe und danach drei Matheaufgaben löse. Inhalt und Vermittlungsweg müssen zueinander passen – sonst fühlen sich auch die Spielenden nicht ernst genommen. Außerdem entsteht ein Graben zwischen „lästigem“ Lernen und dem netten Entertainment. Das ist eine fatale Trennung, immerhin darf Lernen auch Spaß machen.

Haben Sie ein Beispiel dafür, wie man einen passenden Vermittlungs­weg für einen Inhalt findet?

Gemeinsam mit Studierenden haben wir ein Chemie-Lernspiel entwickelt, das sich der Stöchiometrie widmet. Wegen dieses grundlegenden mathematischen Hilfsmittels in der Chemie wählen viele Schülerinnen und Schüler das Fach ab. Dabei ist das Prinzip recht einfach und basiert auf Mengenrelationen und dem Dreisatz. Vor der eigentlichen Entwicklung befragten die Studierenden Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler zu den eigentlichen Schwierigkeiten und ihren Wünschen. In einem iterativen Prozess entschieden wir uns dann – statt für einen Shooter oder ein Adventure – für eine Reihe von Mini-Spielen, die das Verständnis für Mengenverhältnisse trainieren. Es muss beispielsweise eine passende Anzahl von Kisten auf Schiffe geladen oder ein Kakao gemischt werden. Schrittweise wird dieses Spielprinzip dann auf chemische Elemente und Gleichungen übertragen – mit Erfolg. Die Test-Schüler konnten nach 45 Minuten Spielen Stöchiometrie-Klausuraufgaben weitgehend selbstständig lösen.

Wie kann ein solches Spiel sinnvoll in den Lernprozess ­eingebunden werden?

Game-based Learning ist kein Heilsbringer, sondern funktioniert am besten, wenn es in einen Prozess eingebunden wird. Wir legen Schülerinnen und Schülern ja auch kein Lehrbuch hin und erwarten, dass sie nach einem halben Jahr den Inhalt können. Gleiches gilt auch für Serious Games. Niemand will nur mit Spielen lernen. Deshalb ergibt es Sinn, Inhalte in einer Lerngruppe zu besprechen oder durch Workshops zu vertiefen. Die Spiele sind somit eher ein weiteres Angebot im Methoden-Koffer der (Aus-/Weiter-)Bildung.

Martin Steinicke ist wissenschaftlicher Mitarbei­ter an der HTW Berlin. Er erforscht – in der For­schungsgruppe von Prof. Dr. ­Ing. Carsten Busch – die Nutzung von Spielkonzepten (Gamification) und ­technologien (APITs) sowie das Digital Game­based Learning. In den Kursen Game & Interaction Design und DGBL begleitet er seine Studierenden zum eigenen digitalen (Lern-­)Spiel.

Foto Martin Steinicke: HTW Berlin